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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0093
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Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)

Banns" nicht allein die Braut, die im Lauf des Ritualgeschehens verehelicht werden und die von dem Bann
verursachten Beschwerden auf sich nehmen sollte, sondern gleichzeitig auch eine Erscheinungsform der üblen
Dämonin Lamastu und des Totengeistes, wenngleich dies weniger an seiner äußeren Gestalt zu erkennen war. als
an der Art. wie das Figürchen im Verlauf des Ritualgeschehens behandelt wurde.
Betrachtet man den in dem ‘Leitfaden’ skizzierten Ritualverlauf genauer, sind in der Tat mehrere übereinander
geblendete Narrativen auszumachen, die jeweils dem Bann (mämitu), der Lamastu und dem Totengeist zugewiesen
werden können. Das "Abbild des Banns" ist zunächst und in erster Linie - wohl ihrer Kleidung entsprechend - die
zur Hochzeit vorbereitete Braut. Zu dem hierher gehörigen Handlungsstrang zählt die im Ritualverlauf inszenierte
Hochzeit mit der sich unmittelbar daran anschließenden Scheidung (siehe unten Z. 20”-21” mit Kommentar
und den dort aufgeführten Parallelstellen). Die Lamastu-Narrative wird mit dem Darreichen der oben genannten,
eigentlich nm für Lamastu selbst bestimmten Gaben eröffnet und findet in dem Heilverfahren ihre Fortsetzung,
indem - entsprechend dem gängigen Verfahren zur Abwehr der Lamastu - dem "Abbild des Banns" ein Ferkel
geschlachtet und ihm dessen Herz und Blut zum Ersatz für das Leben des Erkrankten dargeboten wird (siehe
Z. 25 ” mit dem zugehörigen Kommentar und den dort aufgeführten Parallelstellen). Der den Ritualen zur Abwehr
des Totengeistes entstammende Handlungsstrang kommt mit dem "Ehren" des Bildes (nur in Text Nr. 3. 27
explizit erwähnt) und der Darbringung eines typischen Totenopfers in Gang (siehe Z. 15’ mit dem zugehörigen
Kommentar und den dort aufgeführten Parallelstellen) und wird in einer ehrerbietig ausgeführten Bestattung
vollendet. In dem als Gerichtsprozeß inszenierten ‘Rechtsstreit’ vor dem Sonnengott (dazu siehe S. M. Maul.
BaF 18. 60-71). in dem der Kranke und sein in dem Figürchen namhaft gemachter Schädiger unter Anleitung
des Heilers gemeinsam vor den Richtergott treten, werden die drei Handlungsstränge erstmals zusammengeführt.
In der Bestattung des Figürchens finden sie ein zweites und letztes Mal zusammen. Ritualverläufe, die eigens
das ‘Töten’ des Ersatzfigürchens vorschreiben (siehe dazu unten Text Nr. 46-47. 47-53). folgen im Ritualende
dem Muster, das die Verfahren zur Austreibung der Lamastu vorgeben (dazu W. Färber. RIA 6. 445b und ders..
Lamastu. 154. Z. 98 und 194. Z. 134). während Inszenierungen, die darauf verzichten, eher dem Schema der
Totengeistabwehr entsprechen.
Die Vielfalt der Handlungsstränge führt zu der elaborierten Ritualstruktur wie wir sie in dem hier vorgestellten
‘Leitfaden’ zur Durchführung der nam-erim-bür-ru-da genannten Heilbehandlung vorfinden. Mit dem
dadurch entstehenden aufwendigen Gepräge wollte man gewiß nicht nur Eindruck schinden. Vielmehr dürften
die Heiler auch im Sinn gehabt haben, durch die Vielschichtigkeit des Heilverfahrens einen möglichst breit
gefächerten Heilerfolg zu erzielen. Die Wirksamkeit der Bannlösungsverfahren sollte sich nämlich auch auf jene
Beschwerden erstrecken, die - selbst wenn ihre Ursache in einem von den Göttern verhängten Bann zu suchen
war - dem Wirken des Totengeistes und der Dämonin Lamastu zugeschrieben wurden. Dies ist bereits daran zu
erkennen, daß in den Einleitungen der hier zusammengestellten Therapiebeschreibungen nicht immer nur der
"Bann" oder die "Hand des Banns" als zu heilende Krankheit angegeben ist. So werden in Text Nr. 3. 10-11 als
zu therapierende Beschwerden neben der "Hand des Banns", die "Hand des Gottes", die "Hand der Menschheit"
(= Schadenzauber) und die "Krankheit des Zusammengekehrten" genannt. An späterer Stelle (Text Nr. 3. 59-60)
findet sich darüber hinaus noch eine weit ausführlichere Liste der von einem Eid ausgelösten Leiden, von denen
man sich Heilung versprach: "Eid. Bann. Vergeltung(sfluch). ‘Verhör’. Husten. Hustenanfall. (Husten)schleim.
Fieber. Schweißausbruch. Leibschmerzen (und) verlorenes Selbstvertrauen". InTextNr. 12.1 sind gleichberechtigt
nebeneinander die "Hand des Totengeistes" und die "Hand des Banns" und in Text Nr. 14. 1-2 nebeneinander
"Bann. Vergeltung!sfluch). Eid. "Fallsucht" (AN.TA.SUB). der "Gefährte des Bösen" (SAG.HUL.HA.ZA). die
"Hand des Totengeistes"" als Leiden genannt, die es zu therapieren galt. Auch die gegen den "Bann" bzw. die
"Hand des Banns" eingesetzten Medikamente sollten nicht selten gegen ein ganzes Bündel von Beschwerden
wirken, zu dem Fieber und die Einwirkung des Totengeistes immer wieder zählen. So versprach beispielsweise
die in BAM 199 und den Duplikaten beschriebene Salbe (siehe J. Scurlock. Magico-medical means. 459-461.
Text Nr. 187b) nicht nur die "Bannlösung". sondern auch die Befreiung von der "Hand des Totengeistes" und
"brennendem Fieber" (ummu sarhu), und auch das hier als repräsentatives Beispiel genannte, in Text Nr. 73-74
und Text Nr. 78. 18-32 angeführte Rezept zur Herstellung eines Einlaufs sieht vor. daß damit “Hitzefieber,
Blähungen. Lähmung (Simmatu), Taubheitsgefühl (rimütu). SaSSatu-Krankheit. "Hand des Totengeistes’'. "Hand
des Banns". Afterbeschwerden (sowie) jegliche Krankheit" kuriert werden könne. Aus diesem Befund darf man
folgern, daß analog dazu auch die mit Figuren operierenden Heilverfahren des Beschwörers bewußt vielschichtig
angelegt waren und damit auf ebenjene ‘Breitbandwirkung’ zielten, die mit der Verabreichung solcher Heilmittel
angestrebt wurde.
7’-8’ Die hier vorgeschriebene Bewirtung des Samas leitet den ‘Rechtsstreit’ ein (siehe S. M. Maul. BaF 18.
60-71). in dem der Patient und das seine Beschwerden verkörpernde Figürchen vor dem Sonnengott einander
gegenübertraten. Anders als in Text Nr. 3. 18-20 sind in dem ‘Leitfaden’ die Libation (Text Nr. 1-2. 8’) und das
Opfer für den Sonnengott (Text Nr. 1-2. 10’-ll’) deutlich voneinander geschieden. In dem ‘Leitfaden’ wurde
nicht eigens erwähnt, daß der Ritualschauplatz vor dem Aufbau der Gaben gründlich gereinigt worden war (siehe
dazu S. M. Maul. BaF 18. 48 sowie Text Nr. 4-10. 1” und Nr. 38-39. 19").
8’ Das Gebet, das hier zur Rezitation vorgeschrieben ist. könnte identisch sein mit der "Beschwörung" (EN), deren
Wortlaut in Text Nr. 3.66-71 erhalten blieb (EN dUTU sar4 AN-e u Kl-tim [ ] x x x [(x)]). Das "Abbild
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