Textbearbeitungen: Nr. 1-2
79
Die Ausstattung des weiblichen Figürchens mit “Kamm, Spindel. Decke. Gewandnadel und Salbfläschchen”
überrascht den Kenner der Fachliteratur der altorientalischen Heiler (äsipütu). Die hier dem “Abbild des Banns"
übereigneten Dinge sind nämlich wohlbekannt, aber in den Heilverfahren des Beschwörers (äsipu) sonst stets
an einen ganz anderen Kontext gebunden (siehe W. Färber. Lamastupassim sowie ders.. RIA 6. 439-446; ders..
Fs. Reiner. 85-105; D. W. Myhrman. ZA 16.141-200; F. Köcher. Beschwörungen gegen die Dämonin Lamastu).
Sie zählen mit dem zwar nicht an dieser Stelle, aber in Text Nr. 3. 16 genannten Schuhwerk (siehe W. Färber.
Fs. Reiner. 101) zu jenen charakteristischen Gaben, die in den uns bekannten Handlungsanweisungen zum
Schutz vor Lamastu und ihrem Wirken einem Figürchen dieser löwenköpfigen Dämonin überreicht wurden. In
dem Figürchen sollte die nicht selten für die Kindersterblichkeit verantwortlich gemachte Dämonin gebannt und
zurück in die Unterwelt geführt werden, nachdem man ihr als Ersatz für das verweigerte Menschenleben ein
Ferkel, namentlich dessen Herz und Blut, gegeben hatte. Zahlreiche Amulette, die vor dem Zugriff der Dämonin
schützen sollten (zuletzt dazu: F. A. M. Wiggermann. ..Lamastu. daughter of Anu“ [2000]. 219 mit Anm. 11;
J. G. Westenholz. Dragons, monsters and fabulous beasts. [2004]. 93. Nr. 49; W. Färber. Lamastu [2014]. 30
mit Angaben zu den jüngst bekannt gewordenen Amuletten Nr. 88-96). zeigen die bereits abgewehrte, gebannte
Lamastu mit dem ganzen Set der hier genannten, für die Dämonin bestimmten Gaben. Decke und Gewandnadel
sind dabei nicht allein als Geschenk an die Dämonin anzusehen, sondern als Dinge, die - wenn sie zum Einsatz
kamen - aufgrund ihres ihnen eigenen Wesens das verhinderten, was als eigentliche Absicht der Lamastu galt:
unter dem Vorwand, ein kleines Kind stillen und ihm die Brust reichen zu wollen, diesem das Blut auszusaugen
und das Leben zu nehmen (siehe W. Färber. RIA 6. 444). Lamastu sollte ihrem Geschäft als falsche Amme nicht
mehr nachgehen können, wenn sie die Decke erhalten, deren Bestimmung entsprechend als Umhang angelegt
und mit der Gewandnadel so verschlossen hatte, daß ihre Brüste ganz verhüllt waren (hierzu siehe KAR 22.
Vs. 5f. und S. M. Maul. R. Strauß. KAL 4. Text Nr. 37. Vs. 7f. mit der Anweisung. Decke und Gewandnadel
am Kopf einer Figur zu befestigen). Auch die anderen Gaben waren dazu bestimmt, jeweils auf ihre Weise die
mörderische Kraft der Dämonin zu brechen, welche in Fieber und Schüttelfrost Gestalt annahm und nicht nm
kleine Kindern, sondern auch Frauen und ausgewachsene Männer bedrohte (siehe W. Färber. RIA 6. 444). Das
zusätzlich in Text Nr. 3. 16 genannte Schuhwerk sollte - als charakteristisches Attribut des weit Reisenden -
Lamastu in die unerreichbare Feme des Jenseits tragen, das den Mesopotamiern als “Land ohne Wiederkehr”
galt.
Auf diese weite Reise verweisen auch die Lebensmittel, die in Ledersäckchen gefüllt wurden, welche man
manchen Ritualbeschreibungen zufolge dem Tonfigürchen auf den Nacken zu legen pflegte (siehe z. B.
D. Schwemer. Akkadische Rituale aus Hattusa. 89. Z. 53”). Denn Trockenbrot und Dörrfleisch waren die
wesentlichen Bestandteile des haltbar gemachten Proviants, den man im Alten Orient Boten und Fermeisenden
mit auf den Weg gab (vgl. die vor allem aus der Ur Ill-Zeit massenhaft auf uns gekommenen sog. Botenlohntexte
und die Beiträge in dem Abschnitt “Food for travelling: investigating travel provisions in the Ancient Near
East” in: L. Milano (Hrsg.). Paleonutrition and food practices in the Ancient Near East [2014]. 261-337). Das
gemahlene Malz (siehe dazu auch Text Nr. 3.25). welches ebenfalls zu dem ganz typischen, für Boten bestimmten
Mundvorrat zählte, konnte - so wie die ‘Bierwürze ’ (billatu) - leicht mit Wasser aufgegossen und auch unterwegs
rasch zu einem nahrhaften Getränk aufbereitet werden (vgl. die Parallelstelle Text Nr. 3. 16-17; ebd. 26 ist auch
der zugehörige “Schlauch mit kühlem Wasser” erwähnt; vgl. ferner die entsprechenden Anweisungen in Text
Nr. 4-10. 6 [siehe auch 9”] und Text Nr. 11. 11). In Z. 24” des hier besprochenen ‘Leitfadens’ sind die in Z. 7’
genannten Lebensmittel explizit als jener "Reiseproviant” (suddfr, siehe auch Text Nr. 3. 74) bezeichnet, der
am Ende des Ritualgeschehens gemeinsam mit dem “Abbild des Banns” an einem unzugänglichen Ort fern der
menschlichen Behausungen in der Steppe bestattet wurde.
In den therapeutischen Verfahren des Beschwörers wurde der für die Jenseitsreise bestimmte Proviant nicht
allein Lamastu und dem “Abbild des Banns” mitgegeben. Auch in anderen Ritualen exorzistischen Charakters,
wie etwa bei den Verfahren zur Austreibung des “bösen udug”. wurde dem Bild des Dämons Verpflegung für
die Unterweltsreise übergeben (siehe M. J. Geller. SAACT 5. 142. 152-168 und W. Schramm. Ein Compendium
sumerisch-akkadischer Beschwörungen. 84-85). Die zugehörigen dicenda lassen keinen Zweifel daran, daß die
überreichten Speisen als “die Speisen des Totengeistes” und der im Wasserschlauch übergebene Trank als “der
Trank des Totengeistes” galten (M. J. Geller, ebd.. 142. 159-160). Dies bedeutet, daß die hier besprochene Provi-
antiemng der Bann-Figürchen letztlich den Handlungsanweisungen für Heilverfahren entstammt, die sicherstel-
len sollten, daß sich ein zurückgekommener Totengeist (etemmu) wieder aus der Menschenwelt zurückzieht und
dort keinen Schaden (mehr) anrichtet (siehe J. Scurlock. Magico-medical means. 52 mit den Anmerkungen 848
und 849). Die Totengeister, die - der Vorstellung der Mesopotamier zufolge - zu den Menschen vor allem dann
zurückkehrten, wenn man ihnen die ihnen zustehenden Speisegaben nicht hatte zukommen lassen, wurden im
Rahmen dieser Verfahren ausführlich geehrt, tagelang mit bestimmten Totenopfem gespeist, und dann mit dem
oben beschriebenen Reiseproviant versehen, bestattet und dadurch in der Unterwelt wieder heimisch gemacht.
Da auch in den Verfahren zur Bannlösung das “Abbild des Banns” “geehrt” (siehe Text Nr. 3. 27) und mit
den eigentlich den Toten vorbehaltenen Opferspeisen versehen wurde (dazu siehe unten den Kommentar zu
Z. 15’ sowie Text Nr. 3. 18 und Nr. 4-10. 7-8). entsteht der Eindruck, als sei in der inneren Logik des hier
kommentierten Heilverfahrens das mit Gewändern. Halskette und blauer Kopfbinde versehene “Abbild des
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Die Ausstattung des weiblichen Figürchens mit “Kamm, Spindel. Decke. Gewandnadel und Salbfläschchen”
überrascht den Kenner der Fachliteratur der altorientalischen Heiler (äsipütu). Die hier dem “Abbild des Banns"
übereigneten Dinge sind nämlich wohlbekannt, aber in den Heilverfahren des Beschwörers (äsipu) sonst stets
an einen ganz anderen Kontext gebunden (siehe W. Färber. Lamastupassim sowie ders.. RIA 6. 439-446; ders..
Fs. Reiner. 85-105; D. W. Myhrman. ZA 16.141-200; F. Köcher. Beschwörungen gegen die Dämonin Lamastu).
Sie zählen mit dem zwar nicht an dieser Stelle, aber in Text Nr. 3. 16 genannten Schuhwerk (siehe W. Färber.
Fs. Reiner. 101) zu jenen charakteristischen Gaben, die in den uns bekannten Handlungsanweisungen zum
Schutz vor Lamastu und ihrem Wirken einem Figürchen dieser löwenköpfigen Dämonin überreicht wurden. In
dem Figürchen sollte die nicht selten für die Kindersterblichkeit verantwortlich gemachte Dämonin gebannt und
zurück in die Unterwelt geführt werden, nachdem man ihr als Ersatz für das verweigerte Menschenleben ein
Ferkel, namentlich dessen Herz und Blut, gegeben hatte. Zahlreiche Amulette, die vor dem Zugriff der Dämonin
schützen sollten (zuletzt dazu: F. A. M. Wiggermann. ..Lamastu. daughter of Anu“ [2000]. 219 mit Anm. 11;
J. G. Westenholz. Dragons, monsters and fabulous beasts. [2004]. 93. Nr. 49; W. Färber. Lamastu [2014]. 30
mit Angaben zu den jüngst bekannt gewordenen Amuletten Nr. 88-96). zeigen die bereits abgewehrte, gebannte
Lamastu mit dem ganzen Set der hier genannten, für die Dämonin bestimmten Gaben. Decke und Gewandnadel
sind dabei nicht allein als Geschenk an die Dämonin anzusehen, sondern als Dinge, die - wenn sie zum Einsatz
kamen - aufgrund ihres ihnen eigenen Wesens das verhinderten, was als eigentliche Absicht der Lamastu galt:
unter dem Vorwand, ein kleines Kind stillen und ihm die Brust reichen zu wollen, diesem das Blut auszusaugen
und das Leben zu nehmen (siehe W. Färber. RIA 6. 444). Lamastu sollte ihrem Geschäft als falsche Amme nicht
mehr nachgehen können, wenn sie die Decke erhalten, deren Bestimmung entsprechend als Umhang angelegt
und mit der Gewandnadel so verschlossen hatte, daß ihre Brüste ganz verhüllt waren (hierzu siehe KAR 22.
Vs. 5f. und S. M. Maul. R. Strauß. KAL 4. Text Nr. 37. Vs. 7f. mit der Anweisung. Decke und Gewandnadel
am Kopf einer Figur zu befestigen). Auch die anderen Gaben waren dazu bestimmt, jeweils auf ihre Weise die
mörderische Kraft der Dämonin zu brechen, welche in Fieber und Schüttelfrost Gestalt annahm und nicht nm
kleine Kindern, sondern auch Frauen und ausgewachsene Männer bedrohte (siehe W. Färber. RIA 6. 444). Das
zusätzlich in Text Nr. 3. 16 genannte Schuhwerk sollte - als charakteristisches Attribut des weit Reisenden -
Lamastu in die unerreichbare Feme des Jenseits tragen, das den Mesopotamiern als “Land ohne Wiederkehr”
galt.
Auf diese weite Reise verweisen auch die Lebensmittel, die in Ledersäckchen gefüllt wurden, welche man
manchen Ritualbeschreibungen zufolge dem Tonfigürchen auf den Nacken zu legen pflegte (siehe z. B.
D. Schwemer. Akkadische Rituale aus Hattusa. 89. Z. 53”). Denn Trockenbrot und Dörrfleisch waren die
wesentlichen Bestandteile des haltbar gemachten Proviants, den man im Alten Orient Boten und Fermeisenden
mit auf den Weg gab (vgl. die vor allem aus der Ur Ill-Zeit massenhaft auf uns gekommenen sog. Botenlohntexte
und die Beiträge in dem Abschnitt “Food for travelling: investigating travel provisions in the Ancient Near
East” in: L. Milano (Hrsg.). Paleonutrition and food practices in the Ancient Near East [2014]. 261-337). Das
gemahlene Malz (siehe dazu auch Text Nr. 3.25). welches ebenfalls zu dem ganz typischen, für Boten bestimmten
Mundvorrat zählte, konnte - so wie die ‘Bierwürze ’ (billatu) - leicht mit Wasser aufgegossen und auch unterwegs
rasch zu einem nahrhaften Getränk aufbereitet werden (vgl. die Parallelstelle Text Nr. 3. 16-17; ebd. 26 ist auch
der zugehörige “Schlauch mit kühlem Wasser” erwähnt; vgl. ferner die entsprechenden Anweisungen in Text
Nr. 4-10. 6 [siehe auch 9”] und Text Nr. 11. 11). In Z. 24” des hier besprochenen ‘Leitfadens’ sind die in Z. 7’
genannten Lebensmittel explizit als jener "Reiseproviant” (suddfr, siehe auch Text Nr. 3. 74) bezeichnet, der
am Ende des Ritualgeschehens gemeinsam mit dem “Abbild des Banns” an einem unzugänglichen Ort fern der
menschlichen Behausungen in der Steppe bestattet wurde.
In den therapeutischen Verfahren des Beschwörers wurde der für die Jenseitsreise bestimmte Proviant nicht
allein Lamastu und dem “Abbild des Banns” mitgegeben. Auch in anderen Ritualen exorzistischen Charakters,
wie etwa bei den Verfahren zur Austreibung des “bösen udug”. wurde dem Bild des Dämons Verpflegung für
die Unterweltsreise übergeben (siehe M. J. Geller. SAACT 5. 142. 152-168 und W. Schramm. Ein Compendium
sumerisch-akkadischer Beschwörungen. 84-85). Die zugehörigen dicenda lassen keinen Zweifel daran, daß die
überreichten Speisen als “die Speisen des Totengeistes” und der im Wasserschlauch übergebene Trank als “der
Trank des Totengeistes” galten (M. J. Geller, ebd.. 142. 159-160). Dies bedeutet, daß die hier besprochene Provi-
antiemng der Bann-Figürchen letztlich den Handlungsanweisungen für Heilverfahren entstammt, die sicherstel-
len sollten, daß sich ein zurückgekommener Totengeist (etemmu) wieder aus der Menschenwelt zurückzieht und
dort keinen Schaden (mehr) anrichtet (siehe J. Scurlock. Magico-medical means. 52 mit den Anmerkungen 848
und 849). Die Totengeister, die - der Vorstellung der Mesopotamier zufolge - zu den Menschen vor allem dann
zurückkehrten, wenn man ihnen die ihnen zustehenden Speisegaben nicht hatte zukommen lassen, wurden im
Rahmen dieser Verfahren ausführlich geehrt, tagelang mit bestimmten Totenopfem gespeist, und dann mit dem
oben beschriebenen Reiseproviant versehen, bestattet und dadurch in der Unterwelt wieder heimisch gemacht.
Da auch in den Verfahren zur Bannlösung das “Abbild des Banns” “geehrt” (siehe Text Nr. 3. 27) und mit
den eigentlich den Toten vorbehaltenen Opferspeisen versehen wurde (dazu siehe unten den Kommentar zu
Z. 15’ sowie Text Nr. 3. 18 und Nr. 4-10. 7-8). entsteht der Eindruck, als sei in der inneren Logik des hier
kommentierten Heilverfahrens das mit Gewändern. Halskette und blauer Kopfbinde versehene “Abbild des