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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0111
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98

Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)

ein Ferkel über den Muttermörder hält, veranschaulicht, daß der uralte mesopotamische Sühneritus auch im
klassischen Griechenland praktiziert wurde [Abbildung in: H. von Hesberg. in A. Karenberg. C. Leitz (Hrsg.).
Heilkunde und Hochkultur II. S. 140]). Dann wurde dem lebendigen Ferkel das Herz aus dem Leib gerissen und
auf den Bauch des Patienten gelegt (LKA 85 ist die Beschreibung eines ähnlichen Rituals, bei dem das Herz
einer Gans verwendet wurde). Das Blut sollte an die Seiten des Bettes geschmiert werden. Der Heiler legte im
folgenden die Gliedmaßen des Tieres jeweils auf die des Kranken, damit durch Kontakt in gewisser Weise die
Identität des kranken menschlichen Körpers auf die des kleinen Schweins überging (gegen W. Schramm, ebd..
37. Z. 53 und 199 wurde das Ferkel nicht “zerteilt”). Dann sollte dem blutdürstigen Dämon das Ferkel überlassen
und so “Fleisch für Fleisch” und “Blut für Blut” gegeben werden. Das Herz des Ferkels war dabei, ähnlich wie
in dem hier kommentierten Ritualgeschehen, als ein für den Dämonen bestimmter Ersatz für das Menschenherz
gedacht (In einen vergleichbaren Kontext mag die zweisprachige Beschwörung CTN 4. Text Nr. 164 gehören;
siehe ferner auch die von T. Abusch und D. Schwemer in CMAwR 2.313-318 als Text Nr. 8.42 veröffentlichte
Ritualbeschreibung).
Anders als in dem Ritual, das in der Schrammschen ‘Beschwörung 3’ beschrieben ist. war in dem hier
kommentierten Heilverfahren der Patient jedoch nicht mehr anwesend. Leib. Herz und Blut des geschlachteten
Schweinchens wurden hier als blutiges Totenopfer verstanden (siehe dazu auch A. Tsukimoto. AOAT 216.125ff.).
Entsprechende Gaben sind uns aus Beschreibungen von Verfahren zur Besänftigung von Totengeistem bekannt.
Die aus BAM 323. 60-64 (vgl. J. Scurlock. Magico-medical means. 508) bekannten, mit unserem Text sehr
verwandten Anweisungen sehen vor. über das in der Steppe für das Figürchen eines Totengeistes angelegte Grab
als Libation das Blut einer Taube auszugießen: ... i]na EDIN PÜ BAD-wu </e-te(statt: te-qe)-bir-sü / IGI-.svi a-na
dUTU.SÜ.A GAR-W \I\a GUR-dr ZI.SUR.RA-a raZI SE.MUS5 rNIGINWw[/] / TUmuäen KUD-A ÜS-s[m a-n\a
UGU-.S77 BAL-<y/ / zi-pd-de-'e1 [tu-ta]m-ma-sü ana EGIR-Aa NU IGI.BAR (“In der Steppe öffnest du ein Loch.
Dann begräbst du es. Sein Gesicht richtest du (dabei) auf den Sonnenuntergang aus. so wird es nicht zurückkehren.
Du umgibst (das Grab) mit einem Mehlkreis aus Mehl von .veg/AsV-Korn. Du schlachtest eine Taube. Ihr Blut
gießt du über ihm (d. h.: dem bestatteten Figürchen des Totengeistes) aus. Mit den ‘Lebensbeschwörungen’
beschwörst du es. Du darfst nicht hinter dich blicken.”).
26” Die hier für die erste Zeilenhälfte vorgeschlagenen Lesungen bleiben unsicher. Daher ist auch nicht ganz klar,
was mit dem Ferkelherz im einzelnen geschah. Es darf freilich als sicher gelten, daß es dem bestatteten Bann
zugeführt und beigesetzt wurde. In der bereits oben zitierten Beschreibung eines Heilverfahrens, bei dem
das Herz einer geschlachteten Gans dem Patienten auf den Bauch gelegt wurde (LKA 85; siehe J. Scurlock.
Magico-medical means. 477-479. Text Nr. 198). sollte das Herz anschließend “in einem Loch, das in Richtung
Sonnenaufgang gelegen ist” deponiert und das Loch “mit Teig aus Mehl von segussu-Kom" verschlossen werden
(LKA 85. Z. 16-17).
Um sicherzustellen, daß von dem Grab des personifizierten Banns kein weiterer Schaden ausgehen würde, umgab
der Heiler das Grab mit einem Mehlkreis (vgl. die parallelen Handlungsanweisungen in Text Nr. 3. 78 und Text
Nr. 4-10. 13”). Die hierbei wohl stets zu rezitierenden dicenda zählen zu den wichtigen, auch in Assur gut
bezeugten schriftlichen Überlieferungen der Beschwörer (Edition: W. Schramm. Bann. Bann!).
Den Abschluß des Bannlösungsverfahrens bildete die nochmalige Bannung der Gefahr durch das von den
Göttern offenbarte beschwörende Wort. Während in vielen Fällen hierfür die gängige Formel “Beim Leben des
Himmels seist du beschworen, beim Leben der Erde seist du beschworen!” als ausreichend betrachtet wurde
(siehe z. B. W. Färber. Lamastu. 146. Z. 13. 154. Z. 102 und passim in der Literatur der Beschwörer; siehe auch
TextNr. 27-33. 103). ist uns zumindest aus den Parallelstellen Text Nr. 3. 78 und Text Nr. 4.14”bekannt. daß am
Ende der nam-erim-bür-ru-da genannten Heilbehandlung die Beschwörung “Beim Leben des Himmels sei
er beschworen” “in Gänze” (zi an-na he -päd DÜ-.svK-nz/) SID-nz/) zu rezitieren sei. Der nur mit seinem Incipit
zitierte Text ist wohl noch unbekannt. Er ist keinesfalls identisch mit den sog. zi-pä-Beschwörungen (dazu siehe
R. Borger. AOAT 1. 1-22 und ders.. WdO 5. 172-175).
Es sollte beachtet werden, daß die an den Heiler gerichtete Anweisung, nach Hause zu gehen, ohne hinter sich zu
blicken, obgleich sie aus der Perspektive der Beschwörer wohl als selbstverständlich anzusehen ist. hier eigens
erwähnt wurde. Daraus darf man wohl schließen, daß die Gefahr, die eine Zuwiderhandlung mit sich brachte, als
außerordentlich hoch eingeschätzt wurde. Die dahinterstehende weit verbreitete Vorstellung, daß man allein durch
Blickkontakt mit lebenden und toten Dingen Unheil auf sich ziehen könne, ist auch aus biblischer Überlieferung
wohlbekannt (siehe Gen 19:26).
 
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