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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0153
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Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)

Suffix -su in dmsu (Z. 25) und ultähissu (Z. 26) nicht auf das salam mursT. sondern auf den Partner des Ferkels,
der nach Z. 24 den Namen mimma lemnu, "Jegliches Böse", trägt. Wäre hier eine weibliche Gestalt gemeint,
hätte um der Eindeutigkeit willen an diesen Stellen wohl dinsa und ultähissi stehen müssen. Ferner wird sühuzu
in vergleichbarem Kontext ausschließlich in der Bedeutung “(einen Mann mit einer Frau) verheiraten' verwendet
(siehe CAD A/I 181a und M. Malul. AOAT 221. 172). so daß es hinzunehmen gilt, daß sich im folgenden
Ritualgeschehen (Z. 19) zwei männliche Partner - der zu heilende Patient und das “Abbild der Krankheiten' -
durch das Durchtrennen verknoteter Gewänder einer symbolischen ‘Ehescheidung’ zu unterziehen hatten. Auf
den ersten Blick scheint dies kaum vorstellbar. Der hier vorliegende Gedanke ist aber offenbar der. daß das salam
mursl nicht ausschließlich als ein “Abbild der Krankheiten' verstanden wurde, sondern auch als ein Ebenbild des
zu Heilenden, das zu dessen Substitut werden sollte. Um der Identität des Erkrankten mit seinem Ebenbild aus Ton
einen sichtbaren Ausdruck zu geben bzw. diese in gewisser Weise durch Kontakt herzustellen, wurden die Säume
ihrer Gewänder wie im Ritual der Eheschließung miteinander verknotet, um den Knoten dann in einem zweiten
Schritt zu zerschneiden und so zu verdeutlichen, daß nunmehr der von dem Übel befallene Teil des Patienten von
dessen Person ‘geschieden’ sei. Der Akt der Scheidung fand also nicht wirklich zwischen zwei Männern statt,
sondern stellte das Aufspalten einer Person in einen kranken, zu beseitigenden und in einen gesunden Teil dar.
Den ersten verkörperte das “Abbild der Krankheiten’’. Eine solche, als Ersatz für den Patienten dienenden Figur
kam auch in all jenen Therapiebeschreibungen zur Anwendung, die mit zwei Figürchen operieren, welche als Paar
von Mann (= Patient) und Frau (= mänütu. “Bann") gedacht waren (siehe Text Nr. 1B und Text Nr. 3). Darüber
hinaus ist in Text Nr. 12. 2 explizit von einem “als Ersatz dienenden Abbild des Kranken" die Rede, welches
wie das Figürchen in dem hier besprochenen Bannlösungsverfahren als männliche Gestalt gedacht war und wie
dieses mit Kleidung ausgestattet wurde. Die engste Parallele zu dem hier kommentierten Ritualgeschehen findet
sich wohl in Text Nr. 11. denn auch dort dürfte von einem männlich gedachten “Abbild des Banns" die Rede sein,
welches offenbar ebenfalls durch Durchtrennen eines Knotens, der das Figürchen mit dem Patienten verband, von
diesem ‘geschieden’ werden sollte (siehe Text Nr. 11. 13). Nimmt man die Handlungsanweisungen in KAR 22.
Vs. 4 und 18 ernst (vgl. die vom Original abweichende Übersetzung von J. Scurlock in: Magico-medical means.
379). ist in diesem Verfahren zur Vertreibung eines Totengeistes vorgeschrieben, ein Abbild des Patienten aus Ton
zu fertigen (NU 1ÜGIG sä IM KI.GAR DÜ-z/.v), es zu bekleiden, auszustatten und zu verköstigen, bevor dann (der
mit dem Gewand des Patienten verknotete?!) Gewandsaum des Figürchens durchschnitten wurde (TÜG.SfK-sw
ta-bat-taq).
Dem Ferkel kam in der hier besprochenen Heilbehandlung freilich nicht allein die Rolle der “Gattin" des
Figürchens zu. sondern es diente gleichzeitig auch als Ersatz für den erkrankten Patienten. “Jegliches Böse", das
in dem “Abbild der Krankheiten" Gestalt gewann, sollte sich an dem Tier, an seinem Leib und an seinem Blut und
nicht an dem zu therapierenden Kranken gütlich tun. Daß genau dies zu befürchten stand, wird im Ritualverlauf in
all seiner Bedrohlichkeit in dem Moment eindrucksvoll vor Augen geführt, als der Kranke, sein Substitut und das
Ferkel durch Gewandknoten in einer Reihe miteinander verbunden sind (ebendies ist geradezu zwingend aus den
knappen Anweisungen der Zeilen 11 und 19 zu folgern). Erst das Durchtrennen des Knotens, der den Patienten
an das “Abbild der Krankheiten" und indirekt auch an dessen "Gattin", das Ferkel, kettete, verdeutlicht, daß die
auszehrende Kraft der Krankheit von nun an nur noch in die Richtung des zum Substitut erkorenen Schweinchens
gehen durfte. Zu dieser Rolle von Ferkeln in den in diesem Buch zur Kenntnis gebrachten Ritualanweisungen
siehe den Kommentar zu Text Nr. 1-2. 25”.
14-15 Die hier genannten Möbel - “Bett. Stuhl und Tisch, der Leute Stolz" (Gilgamesch-Epos. Tafel 7. 114) - stehen
für den funktionstüchtigen Haushalt, der dem frisch vermählten Paar mitgegeben werden sollte (hierzu siehe
D. Schwemer. Akkadische Rituale aus Hattusa. 66 und 103. 78”-82”; ders.. Abwehrzauber und Behexung.
218-219). Das “Abbild der Krankheiten" und seine Gattin, das Ferkel, sollten freilich nicht lange Freude an
dieser ihnen überreichten Aussteuer haben. Denn am Ende des Ritualgeschehens wurden sie rituell zu Tode
gebracht, bestattet und so in die Unterwelt befördert (Auch wenn die entsprechenden Anweisungen in dem hier
kommentierten Text nicht erhalten blieben, ist dies allein schon den Anspielungen in dem an den Sonnengott
gerichteten Gebet [Z. 20 und Z. 22] zu entnehmen. Vgl. auch die entsprechenden Anweisungen in Text Nr. 1-2.
24”-27”; Nr. 3. 77-78; Nr. 4-10. 13”—14”; Nr. 46. 47-53). Allein die Berücksichtigung dieser Erkenntnis
liefert den Schlüssel zum Verständnis der zweiten Hälfte der Z. 14. Die Anweisung, “alles weitere vor Samas”
hinzulegen, bezieht sich nämlich auf die im folgenden genauer benannte Mitgift für das todgeweihte Paar. Im
Ritualgeschehen wurde so - ganz den Bräuchen im wirklichen Leben verpflichtet - die Mitgift für die Brautleute
zu den Grabbeigaben, die vor der Bestattung “vor Samas" ausgestellt und den Leuten gezeigt wurden. Die
Zeilen 14-15 sind dementsprechend als eine knappe Beschreibung der taklimtu genannten Zurschaustellung der
Grabbeigaben bei Tageslicht (dazu siehe J. Scurlock. NABU 1991. Nr. 3) zu deuten. Das Hochzeitsbett und das
Totenbett gingen so ineinander auf.
Bei Ausgrabungen in den urbanen Zentren des Zweistromlandes stieß man immer wieder auf kleine tönerne
Nachbildungen von Betten. Stühlen und Tischen, die in der sehr großen Zeitspanne vom ausgehenden dritten
vorchristlichen Jahrtausend bis in die Partherzeit angefertigt wurden und in den Erdboden gelangt waren (siehe
N. Cholidis. Möbel aus Ton [1992]; außerdem z. B. E. Klengel-Brandt. Die Terrakotten aus Assur [1978]. 111-112
mit Taf. 23; J. Assante. CRRAI 47 [2003], 27-52 und N. Wrede. Terrakotten I. AUWE 25 [2003], 65-76]). Die
 
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