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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0329
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Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)

Der Text aus Nippur bietet hier weitergehende Informationen. Ihm ist nämlich zu entnehmen, daß man einen
solchen Eid auch vor der Krone eines Gottes (agil: Z. 3’). bei dessen Bogen (filpämr. Z. 12’) oder bei dem
Stufenpostament (parakkw. Z. 5’). auf dem ein Götterbild stand, zu leisten pflegte. Der in Z. 8’ erwähnte Brauch,
einen Schwur vor “der Waffe des Labbu” abzulegen, war bereits aus dem altbabylonischen Babylon bekannt
(siehe den Kommentar zu Z. 8’). Der hier kommentierte Text liefert aber ebenso wenig wie Gerichtsurkunden
und andere Zeugnisse des altorientalischen Rechtslebens eine Erklärung für die Frage, ob ein Zusammenhang
bestand zwischen der Wahl des beim Eid gegenwärtigen Göttersymbols und der Art des jeweils zu verhandelnden
Rechtsfalls (M. Stol hat in Fs. Van Lerberghe eine aus Gerichtsurkunden und ähnlichen Texten exzerpierte
Liste solcher Rechtsfälle zusammengestellt). Die Tafel aus Nippur läßt hingegen keinen Zweifel daran, daß die
Maßnahmen der zur Durchführung empfohlenen Bannlösungsverfahren sich jeweils nach dem Göttersymbol
richteten, das bei der Eidesleistung die Schicksalsmacht der Gottheit verkörperte.
In einem zweiten Abschnitt (Z. 14’—21 ’) finden sich in HS 1911 Beschreibungen von Reinigungsriten. mit
denen man zu bewirken suchte, daß eine Person vor einem Bann und dessen Folgen auch dann sicher blieb,
wenn sie sich im Rahmen eines Rechtsaktes einer Eidesleistung entzogen hatte. Auch wenn diese Person durch
ihre Weigerung, einen Eid zu leisten, den Beweis für ihr Umecht lieferte und dementsprechend die anhängige
Rechtsangelegenheit zu ihren Ungunsten entschieden wurde, hatte sie durch ihr Verhalten dennoch vermieden,
durch eine Selbstverfluchung den nachhaltigen, einem göttlichen Bann folgenden Schaden auf sich zu ziehen.
In diesem Sinne hatte sich die betreffende Person vor ihrer Gottheit nicht schuldig gemacht und konnte so mit
der Hilfe eines Heilers einer kultischen Reinigung unterzogen werden, ohne daß damit die Autorität des Eides
grundsätzlich in Frage gestellt wurde.
Die Befolgung der Anweisungen, die in einem dritten und letzterhaltenen Abschnitt der Tafel zusammengestellt
sind (Z. 22’-33 ’). sollte Personen, unmittelbar bevor sie im Rahmen eines Rechtsaktes einen Eid zu leisten hatten,
das Gefühl vermitteln, unbedroht von einem Bann und seinen in einer Selbstverfluchung genannten Folgen einen
Schwur ablegen zu können. Auch wenn weitere Sammlungen von Verfahren zur Bann-Prophylaxe vollständig
fehlen, ist eine Ritualanweisung dieses dritten Abschnitts der Tafel HS 1911 aus einem neuassyrischen, im sog.
Haus des Beschwörungspriesters gefundenen heilkundlichen Kompendium bekannt (Text Nr. 79. 57’f.). Dort
folgt die Beschreibung eines Reinigungsrituals, das eine meineidig gewordene, bereits von einem Bann gepackte
Person durchführen sollte, um so wenigstens zu verhindern, daß sich am Ort der Eidesleistung unbeteiligte Dritte
mit dem verhängten Bann ‘infizierten’.
Es ist durchaus möglich, daß diese bisher nur aus Text Nr. 79. 59’-63’ bekannte Ritualbeschreibung in den
nicht auf uns gekommenen Passagen der mittebabylonischen Tafel aus Nippur festgehalten worden war. Aus
altbabylonischer Zeit ist die knappe Beschreibung eines weiteren vergleichbaren Verfahrens bekannt, mit dem
verhindert werden sollte, daß einem Eidleistenden ‘‘der Bann nahekommt” (A. R. George. CUSAS 18. Text
Nr. 16. § 17’: “Wenn ein Mann einen Vogel fängt und wieder freiläßt: Der Eid. den er leistet, wird ihm nicht
nahekommen.”).
1 ’ Der in insgesamt dreizehn Textabschnitten wiederholte, bislang aber unbekannte Wortlaut des Zeilenanfangs war
nur in dem ersten der dreizehn mit der gleichen Wendung beginnenden Abschnitte ausgeschrieben. Die jeweils
zu wiederholende Wendung dürfte sinngemäß etwa gelautet haben: “Wenn ein Mensch einen (assertorischen)
Eid abzulegen hatte”. Die noch in mittelbabylonischer Zeit praktizierte Sitte, die mit KI bezeichneten
Wiederholungsverweise zu numerieren (siehe dazuR. Borger. MZL. 412 oben sowie z. B. B AM 396 [freundlicher
Hinweis M. Stol]). findet sich in Manuskripten aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend nicht mehr. In
Tontafeln aus dieser Zeit verwendete man statt dessen lediglich die Zeichenfolge KI.MIN (Numerierungen ohne
KI sind hingegen hin und wieder bezeugt, so z. B. in B AM 469. B AM 471 und B AM 543 [freundlicher Hinweis
M. Stol]).
2’ Der in kleiner Schrift geschriebene Vermerk dSiras ist wohl als Angabe einer Textvariante zu verstehen, die sich
auf die Nennung der “göttlichen Krone” (d AGA) in der folgenden Zeile bezieht, obgleich sie vor dem horizontalen
Strich steht, der Z. 2 ’ von Z. 3 ’ trennt. Ein entsprechender, klein geschriebener Vermerk in Vs. 13’. der ebenfalls
unmittelbar vor einem Paragraphenstrich steht, ist wohl dennoch nicht als Kommentar zu der nachfolgenden
Zeile zu deuten. Die Variante dAGA/dSiras kann wohl nur dadurch erklärt werden, daß die Zeichen AGA und
SIM (= Siras) in der babylonischen Schrift in ihrem Umriß eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen.
5’ Das “besagte Haus” meint den Tempel, in dem sich das Stufenpostament (parakku) befindet, bei oder vor dem
der Schwur abgelegt wurde.
8’ Aus der altbabylonischen Urkunde VS 22. Nr. 28. Vs. 22 ist bekannt, daß man im Rahmen eines Rechtsaktes
auch in Babylon vor der vergöttlichten Waffe des Labbu ("eäTUKUL La-bi) einen Eid leisten konnte (siehe dazu
D. Charpin. BiOr 42 [1985]. 276 sowie M. Stol. Fs. Van Lerberghe. 566). Zu der “Waffe des Labbu” siehe auch
unten Z. 13’.
9’-10’ Die über Salböl zu sprechende enuru-Beschwörung ist bisher nur durch diesen Beleg bekannt. Es ist keineswegs
klar, daß - so wie hier angenommen - die Zeichenfolge KI A im Wortlaut der Beschwörung p i s x 0 zu lesen ist.
Ferner bleibt nicht ganz sicher, ob die Identifikation des hier als t e? umschriebenen Zeichens korrekt ist. Die
aparte Form des Zeichens, das wie UD+UD aussieht, ist jedoch für die mittelbabylonische Zeit bezeugt (siehe
dazu R. Borger. ABZ. 24 vierte Spalte).
 
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