„usburruda-Serie(n)“, dazu ausführlicher unten); freilich umfaßte
auch dieses Corpus nur einen Teil der vielfältigen heilkundlichen
Traditionen, die sich dem Phänomen Schadenzauber widmeten.
Viele Abwehrzauberrituale fanden nie Eingang in eine größere
Sammlung von Texten, sondern wurden bis in die Spätzeit als
Einzeltexte innerhalb verschiedener Kontexte oder isoliert über-
liefert. Zahlreiche Beschwörungen und kleine Ritualeinheiten
waren allerdings innerhalb des Großrituals Maqlü wahrscheinlich
schon seit mittelbabylonischer Zeit zusammengefaßt. Andere
Sammlungen von Abwehrzauberritualen fanden wohl nie Ver-
breitung über die jeweilige Bibliothek oder Lokaltradition hinaus.
Das heterogene Bild der Überlieferung ist jedoch nicht nur
durch die späte und anscheinend nie allgemein akzeptierte
Serialisierung des einschlägigen Textmaterials bedingt. Vielmehr
entsteht die für unser Textcorpus typische Unübersichtlichkeit
auch durch die Vielfalt der therapeutischen und prophylaktischen
Methoden zur Heilung und Abwehr von Behexung. Auch die
Tatsache, daß die Organisation der heilkundlichen Texte keines-
wegs durchgängig nach dem Krankheitsverursacher erfolgte,
trägt zur Inhomogenität des Überlieferungsbildes bei. So ergeben
sich auch immer wieder Überschneidungen zwischen den Texten
des Abwehrzaubers und anderen Gattungen der babylonisch-
assyrischen Ritualistik.
Die ältere Überlieferung, insbesondere des frühen 2. Jt. und
des 3. Jt. v. Chr., ist noch ganz unzulänglich bekannt. Ab der
Mitte des 2. Jt. läßt sich eine ausgeprägte Kontinuität der textli-
chen Überlieferung konstatieren, aber bereits in der altbabyloni-
schen Zeit scheint im wesentlichen das gesamte Spektrum der aus
den späteren Epochen bekannten Textgruppen bekannt gewesen
zu sein, wobei sich die Gewichte zwischen den einzelnen Gattun-
gen im Laufe des 2. Jt. erheblich verschoben. Die Tatsache, daß
bislang voraltbabylonisch keine einschlägigen Beschwörungen
nachgewiesen werden können und auch aus altbabylonischer Zeit
nur wenige Beschwörungsrituale gegen Schadenzauber erhalten
sind, erlaubt nach meinem Dafürhalten keine unmittelbaren
Rückschlüsse auf die Entwicklungsgeschichte des Schaden-
zauberglaubens an sich.
Der Schadenzauberglaube artikuliert sich vor allem in den
Stereotypen, die sich mit den Übeltätern verbinden. Insbesondere
die Beschwörungstexte der Abwehrzauberrituale überliefem ein
lebendiges Bild von den Vorstellungsklischees, die man mit den
Schadenzauberern assoziierte; in prägnanterer Form begegnen
dieselben Stereotypen auch in den diagnostischen Texten und
den Diagnosen der Abwehrzauber-Texte.
Die Schadenzauberer affizieren und infizieren mit ihren
Hexereien den Patienten, packen, befehden, schlagen und zer-
stören ihn, sie verfolgen den Betroffenen unablässig, sie planen
Böses, sind zornig, reden Übles, bezichtigen und verleumden ihr
Opfer vor Göttern und Menschen, sie binden den Patienten,
knüpfen Knoten. Sie beschmutzen den Patienten, verursachen
verschiedene Leiden und Kümmernisse, berauben ihn seiner
Potenz und Libido. Sie behexen ihr Opfer mit verunreinigten
Substanzen im Essen und im Salböl. Sie haben Rituale gegen den
Patienten durchgeführt, Figuren von ihm angefertigt, sie mißhan-
delt, sich über ihnen gewaschen und sie so besudelt. Die endgülti-
ge Zerstömng der Figuren des Opfers durch die Schadenzauberer
konnte nach mesopotamischer Vorstellung auf unterschiedliche
Weise erfolgen, besonders häufig begegnen in den Texten das
Verbrennen und die Beerdigung, die eine Bannung des Opfers in
die Unterwelt bewirkte.
Die Übeltäter zählen die Beschwömngen oft in langen Reihen
paarweise auf: Hexer und Hexe, Zauberer und Zauberin, Widersa-
cher und Widersacherin, Prozeßgegner und Prozeßgegnerin etc.
Dabei bleibt die Identität der beschuldigten Personen in der
Sprache der Beschwörungen immer unbestimmt, auch wenn das
zugehörige Abwehrzauberritual die Verwendung von namentlich
beschrifteten Ersatzfiguren der Übeltäter vorsieht. Vor der Gott-
heit gibt man sich als das fromme, unschuldige Opfer, das von
nichts weiß. Umgekehrt zeigen Ritualvorschriften, die alternative
Bestimmungen geben, je nach dem ob das Opfer seine Schaden-
zauberer kennt, daß ein Verdacht gegen eine konkrete Person
keine Voraussetzung für ein Abwehrzauberritual darstellte. 4
Obwohl die Schadenzauberer in der Sprache der Beschwömn-
gen gerne paarweise genannt werden, ist das Stereotyp von Hexe
und Feind keineswegs geschlechtsneutral. Die eigentliche Agentin
von Hexereien (kispü) ist eine Frau: die Hexe (akkadisch kassäptü).
Ihr zur Seite steht der männliche kassäpu, doch begegnet dieser nie
allein in den Texten; er führt nur eine Schattenexistenz an der
Seite der kassäptu, die ihrerseits in farbiger Blumigkeit beschrie-
ben wird. Der männliche Agent des Schadenzaubers, der in den
Texten als eigenständige Person auftritt, heißt „Widersacher“
oder „Prozeßgegner“ (akkadisch bel amäti, bel dabäbi, bel lemutti
und ähnlich); ihn begleitet in den paarweisen Reihen die Widersa-
cherin oder Prozeßgegnerin, die genauso blaß bleibt wie der
männliche Kompagnon der kassäptu. Versucht man die Situation
in einen Satz zu fassen, so könnte man sagen: Das Stereotyp des
Agenten des Schadenzaubers (kispü) ist primär weiblich geprägt,
daneben tritt als männliche Komplementärgestalt diejenige des
Feindes vor Gericht oder bei Hofe, der sich ebenfalls des Schaden-
zaubers bedient. In der Rhetorik der Beschwömngen, die immer
alle Eventualitäten berücksichtigen wollen, werden all diese Typen
jeweils paarweise, als männliche und weibliche Gestalt genannt,
ohne das eigentliche Profil des jeweiligen Stereotyps damit zu
verändern. Die gmndsätzlich als böser Mitmensch vorgestellte
kassäptu nimmt in der Beschwörungsliteratur teilweise dämoni-
sche Züge an. Darüber hinaus kannte man jedoch auch eigentli-
che „Hexendämonen“, himmlische Wesen, die auf die Erde hin-
absteigen und dort ihr schadenzauberisches Unwesen treiben. 5
Das Bild der Beschwörungsliteratur bestätigt ein Blick auf
die Informationen über den Schadenzauberglauben in Texten
außerhalb des Corpus der heilkundlichen Texte. Altorientalische
Gesetzestexte zeigen, daß Schadenzauber als Kapitalverbrechen
galt - ein Verbrechen, bei dem man grundsätzlich davon ausging,
daß Männer ebenso wie Frauen als Täter in Frage kämen. Briefe
und Rechtsurkunden aus verschiedenen altorientalischen Epochen
4 Wichtig sind in diesem Zusammenhang vor allem die hier edierten Frag-
mente VAT 13711 (Nr. 32) und VAT 13865 (Nr. 57).
5 Der wichtigste Beleg für diese himmlischen Hexen ist die Beschwörung
Ittardäni ana mäti kassäpätu (TCL 6,49 Vs. 16ff. // unpubl. K 8112 + 9666
lk. Kol. 13’ff.). Von besonderem Interesse ist die Tatsache, daß die sieben
himmlischen Hexen dort gleichsam als negatives Gegenbild der himmli-
schen Töchter des Anu beschrieben werden, die in der Beschwörungs-
literatur in aller Regel als heilbringende Mächte gelten (zu den Anu-
Töchtem siehe die reiche Belegsammlung bei W. Farber, JNES 49 [1990]
299ff., vgl. auch ders., Fs. Borger, 64f.).
2
auch dieses Corpus nur einen Teil der vielfältigen heilkundlichen
Traditionen, die sich dem Phänomen Schadenzauber widmeten.
Viele Abwehrzauberrituale fanden nie Eingang in eine größere
Sammlung von Texten, sondern wurden bis in die Spätzeit als
Einzeltexte innerhalb verschiedener Kontexte oder isoliert über-
liefert. Zahlreiche Beschwörungen und kleine Ritualeinheiten
waren allerdings innerhalb des Großrituals Maqlü wahrscheinlich
schon seit mittelbabylonischer Zeit zusammengefaßt. Andere
Sammlungen von Abwehrzauberritualen fanden wohl nie Ver-
breitung über die jeweilige Bibliothek oder Lokaltradition hinaus.
Das heterogene Bild der Überlieferung ist jedoch nicht nur
durch die späte und anscheinend nie allgemein akzeptierte
Serialisierung des einschlägigen Textmaterials bedingt. Vielmehr
entsteht die für unser Textcorpus typische Unübersichtlichkeit
auch durch die Vielfalt der therapeutischen und prophylaktischen
Methoden zur Heilung und Abwehr von Behexung. Auch die
Tatsache, daß die Organisation der heilkundlichen Texte keines-
wegs durchgängig nach dem Krankheitsverursacher erfolgte,
trägt zur Inhomogenität des Überlieferungsbildes bei. So ergeben
sich auch immer wieder Überschneidungen zwischen den Texten
des Abwehrzaubers und anderen Gattungen der babylonisch-
assyrischen Ritualistik.
Die ältere Überlieferung, insbesondere des frühen 2. Jt. und
des 3. Jt. v. Chr., ist noch ganz unzulänglich bekannt. Ab der
Mitte des 2. Jt. läßt sich eine ausgeprägte Kontinuität der textli-
chen Überlieferung konstatieren, aber bereits in der altbabyloni-
schen Zeit scheint im wesentlichen das gesamte Spektrum der aus
den späteren Epochen bekannten Textgruppen bekannt gewesen
zu sein, wobei sich die Gewichte zwischen den einzelnen Gattun-
gen im Laufe des 2. Jt. erheblich verschoben. Die Tatsache, daß
bislang voraltbabylonisch keine einschlägigen Beschwörungen
nachgewiesen werden können und auch aus altbabylonischer Zeit
nur wenige Beschwörungsrituale gegen Schadenzauber erhalten
sind, erlaubt nach meinem Dafürhalten keine unmittelbaren
Rückschlüsse auf die Entwicklungsgeschichte des Schaden-
zauberglaubens an sich.
Der Schadenzauberglaube artikuliert sich vor allem in den
Stereotypen, die sich mit den Übeltätern verbinden. Insbesondere
die Beschwörungstexte der Abwehrzauberrituale überliefem ein
lebendiges Bild von den Vorstellungsklischees, die man mit den
Schadenzauberern assoziierte; in prägnanterer Form begegnen
dieselben Stereotypen auch in den diagnostischen Texten und
den Diagnosen der Abwehrzauber-Texte.
Die Schadenzauberer affizieren und infizieren mit ihren
Hexereien den Patienten, packen, befehden, schlagen und zer-
stören ihn, sie verfolgen den Betroffenen unablässig, sie planen
Böses, sind zornig, reden Übles, bezichtigen und verleumden ihr
Opfer vor Göttern und Menschen, sie binden den Patienten,
knüpfen Knoten. Sie beschmutzen den Patienten, verursachen
verschiedene Leiden und Kümmernisse, berauben ihn seiner
Potenz und Libido. Sie behexen ihr Opfer mit verunreinigten
Substanzen im Essen und im Salböl. Sie haben Rituale gegen den
Patienten durchgeführt, Figuren von ihm angefertigt, sie mißhan-
delt, sich über ihnen gewaschen und sie so besudelt. Die endgülti-
ge Zerstömng der Figuren des Opfers durch die Schadenzauberer
konnte nach mesopotamischer Vorstellung auf unterschiedliche
Weise erfolgen, besonders häufig begegnen in den Texten das
Verbrennen und die Beerdigung, die eine Bannung des Opfers in
die Unterwelt bewirkte.
Die Übeltäter zählen die Beschwömngen oft in langen Reihen
paarweise auf: Hexer und Hexe, Zauberer und Zauberin, Widersa-
cher und Widersacherin, Prozeßgegner und Prozeßgegnerin etc.
Dabei bleibt die Identität der beschuldigten Personen in der
Sprache der Beschwörungen immer unbestimmt, auch wenn das
zugehörige Abwehrzauberritual die Verwendung von namentlich
beschrifteten Ersatzfiguren der Übeltäter vorsieht. Vor der Gott-
heit gibt man sich als das fromme, unschuldige Opfer, das von
nichts weiß. Umgekehrt zeigen Ritualvorschriften, die alternative
Bestimmungen geben, je nach dem ob das Opfer seine Schaden-
zauberer kennt, daß ein Verdacht gegen eine konkrete Person
keine Voraussetzung für ein Abwehrzauberritual darstellte. 4
Obwohl die Schadenzauberer in der Sprache der Beschwömn-
gen gerne paarweise genannt werden, ist das Stereotyp von Hexe
und Feind keineswegs geschlechtsneutral. Die eigentliche Agentin
von Hexereien (kispü) ist eine Frau: die Hexe (akkadisch kassäptü).
Ihr zur Seite steht der männliche kassäpu, doch begegnet dieser nie
allein in den Texten; er führt nur eine Schattenexistenz an der
Seite der kassäptu, die ihrerseits in farbiger Blumigkeit beschrie-
ben wird. Der männliche Agent des Schadenzaubers, der in den
Texten als eigenständige Person auftritt, heißt „Widersacher“
oder „Prozeßgegner“ (akkadisch bel amäti, bel dabäbi, bel lemutti
und ähnlich); ihn begleitet in den paarweisen Reihen die Widersa-
cherin oder Prozeßgegnerin, die genauso blaß bleibt wie der
männliche Kompagnon der kassäptu. Versucht man die Situation
in einen Satz zu fassen, so könnte man sagen: Das Stereotyp des
Agenten des Schadenzaubers (kispü) ist primär weiblich geprägt,
daneben tritt als männliche Komplementärgestalt diejenige des
Feindes vor Gericht oder bei Hofe, der sich ebenfalls des Schaden-
zaubers bedient. In der Rhetorik der Beschwömngen, die immer
alle Eventualitäten berücksichtigen wollen, werden all diese Typen
jeweils paarweise, als männliche und weibliche Gestalt genannt,
ohne das eigentliche Profil des jeweiligen Stereotyps damit zu
verändern. Die gmndsätzlich als böser Mitmensch vorgestellte
kassäptu nimmt in der Beschwörungsliteratur teilweise dämoni-
sche Züge an. Darüber hinaus kannte man jedoch auch eigentli-
che „Hexendämonen“, himmlische Wesen, die auf die Erde hin-
absteigen und dort ihr schadenzauberisches Unwesen treiben. 5
Das Bild der Beschwörungsliteratur bestätigt ein Blick auf
die Informationen über den Schadenzauberglauben in Texten
außerhalb des Corpus der heilkundlichen Texte. Altorientalische
Gesetzestexte zeigen, daß Schadenzauber als Kapitalverbrechen
galt - ein Verbrechen, bei dem man grundsätzlich davon ausging,
daß Männer ebenso wie Frauen als Täter in Frage kämen. Briefe
und Rechtsurkunden aus verschiedenen altorientalischen Epochen
4 Wichtig sind in diesem Zusammenhang vor allem die hier edierten Frag-
mente VAT 13711 (Nr. 32) und VAT 13865 (Nr. 57).
5 Der wichtigste Beleg für diese himmlischen Hexen ist die Beschwörung
Ittardäni ana mäti kassäpätu (TCL 6,49 Vs. 16ff. // unpubl. K 8112 + 9666
lk. Kol. 13’ff.). Von besonderem Interesse ist die Tatsache, daß die sieben
himmlischen Hexen dort gleichsam als negatives Gegenbild der himmli-
schen Töchter des Anu beschrieben werden, die in der Beschwörungs-
literatur in aller Regel als heilbringende Mächte gelten (zu den Anu-
Töchtem siehe die reiche Belegsammlung bei W. Farber, JNES 49 [1990]
299ff., vgl. auch ders., Fs. Borger, 64f.).
2