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Der Schadenzauberglaube bot im Rahmen des altorientali-
schen Weltbildes eines der wichtigen Deutungs- und
Erklärungsmuster für individuelles Leid. Er blieb immer nur eine
Deutungsmöglichkeit neben anderen, sei es, daß sie wie der
Schadenzauberglaube die Ursache des Leidens außerhalb des
Patienten ansiedelten (Dämonenglaube), sei es, daß sie den
Patienten selbst oder seine unmittelbare Umgebung schuldhaft
oder durch einen unbeabsichtigten Tabubruch in das Geschehen
verstrickt sahen. Alle Konzeptualisierungen dieser Art waren,
soweit die Texte dies erkennen lassen, in ein theistisches
Weltbild eingebettet; die Vorstellung des göttlichen Zorns und
der Ferne der Schutzgottheiten spielt deshalb nicht nur im
Rahmen des Schadenzauberglaubens eine wichtige Rolle. 10
Dessen Besonderheit besteht darin, gesellschaftliche Spannun-
gen, die dem Einzelnen in der Erfahrung des Leids besonders
präsent sind, rituell zu artikulieren und zu beseitigen, ohne daß
davon das tatsächliche Zusammenleben unmittelbar gestört wer-
den muß. Da er die Schuld für das eigene Leid beim Anderen
sucht, besitzt der Schadenzauberglaube aber natürlich auch ein
erhebliches Potential zur sozialen Destabilisierung. Dieses
kommt jedoch erst voll zum Tragen, wenn die rituelle Bekämp-
fung der Schadenzauberer selbst als Hexerei delegitimiert und
die juristische Verfolgung vermeintlicher Täter notwendiger Teil
der „Therapie“ wird. Beide Entwicklungen und ihre inhumanen
Folgen blieben fortgeschritteneren Epochen der menschlichen
Kulturgeschichte vorbehalten.

Die Therapie von Behexung

Die heilkundliche Behandlung von Leiden, die auf Schaden-
zauber zurückgeführt wurden, ist von den Elementen Symptom-
beschreibung, Diagnose, Therapie und Prophylaxe bestimmt.
Dabei sind unserem Verständnis der Texte in allen Bereichen vor
allem auch dadurch Grenzen gesetzt, daß uns die genaue Bedeu-
tung vieler Ausdrücke zur Beschreibung von Symptomen ebenso
unzugänglich ist wie die exakte Identifizierung der meisten
Pflanzen- und Mineralnamen, die in den Therapieanweisungen
begegnen.

Schadenzauber galt nicht als Ursache eines einzigen, immer
gleich zu beobachtenden Syndroms, sondern konnte sich am
Patienten in unterschiedlicher Weise realisieren. Man kann in der
Zusammenschau der Symptombeschreibungen jedoch eine
begrenzte Zahl von Syndromtypen erkennen. Dabei handelt es
sich insgesamt um schwere Krankheitsbilder, die vor allem den
Oberbauch und den Brustraum des Patienten betreffen. Bei kom-
plexen Krankheitsbildern schließen die Beschwerden in aller
Regel Lähmungs- und Schwächeerscheinungen, Kopfschmerz,
Schwindel, Angst- und Verwirrtheitszustände ein. Eine bestimmte
Gruppe von Texten hebt vor allem auf psycho-soziale Probleme
des Patienten ab. Inwieweit die von den Texten bezeugten Syn-
drome potentielle Entsprechungen in der Diagnostik der westli-
chen Schulmedizin besitzen und inwieweit „kulturspezifische
Syndrome“ vorliegen, läßt sich im Einzelfall kaum beurteilen.
Insgesamt wird man mit beidem rechnen müssen. * 11

10 Vgl. dazu insbesondere T. Abusch, MesWi 27ff.

11 Selbst der modernen Ethnomedizin bereitet die Unterscheidung zwischen

Die Behexungsdiagnose kann - insbesondere in den jüngeren
Texten (?) - nach der Methode des Schadenzaubers, auf die das
jeweilige Leiden zurückgeführt wird, differenziert werden. Dem
gegenüber steht eine Tendenz zur Zusammenfassung verschiede-
ner differenzierter Diagnosen in Hinsicht auf hochpotente
Rituale. Die Interdependenzen zwischen dem jeweiligen
Syndromtyp und der differenzierten Diagnose einerseits, sowie
zwischen der indizierten Therapieform und dem diagnostizierten
Krankheitsbild andererseits, lassen sich im Einzelfall klar aufzei-
gen. Auch generelle Tendenzen sind erkennbar, ohne daß wir in
der Lage wären, eine diagnostisch-therapeutische Systematik zu
rekonstruieren. So werden komplexe Leiden eher mit Figuren-
zauber, einfache Leib- oder Lungenbeschwerden eher mit scha-
denzauberischer Vergiftung verbunden; letztere therapiert man
zumeist mit Heilmitteln, während man einem schadenzauberi-
schen Figurenzauber spiegelbildlich mit einem Abwehrzauber-
ritual entgegentritt, das sich ebenfalls des Figurenzaubers
bedient. Abweichungen von diesen Faustregeln lassen sich
mehrfach beobachten, zumal in Texten, die zur ninivitischen
usburruda-Serie (dazu unten) zu gehören scheinen.

Das Verhältnis zwischen den beiden therapeutischen
Grundstrategien Heilmittel (Arznei) und Beschwörungsritual ist
in diesem Sinne zunächst diagnoseabhängig komplementär.
Verschiedene Texte zeigen jedoch, daß beide Methoden von Fall
zu Fall beim selben Patienten zur Anwendung kommen konnten,
in der Regel jedoch in einem zeitlichen Nacheinander, wobei die
rituelle Behandlung an erster Stelle stand. Eine regelmäßige, the-
rapeutisch grundsätzlich notwendige Kombination beider
Methoden legt das Quellenmaterial nach meinem Dafürhalten
nicht nahe. 12

Die Heilmittel zur Therapie von Behexung werden meistens
in Form von Tränken oder Salben, seltener als trockene Nahrung,
im Umhängebeutelchen oder an einer Halskordel verabreicht. Da
von Schadenzauber in der Regel Oberbauch und Brustraum be-
troffen sind, ist es wenig verwunderlich, daß Klistiere u.ä. kaum
Verwendung finden (anders etwa die mdmrfw-Therapie). Eine
umfassende Systematik der Pflanzen und Mineralien, die in den
Heilmitteln zur Anwendung kommen, läßt sich nicht etablieren,
kommentierte Pflanzenlisten und Beschwörungen zeigen aber, daß
man bestimmten Pflanzen und Mineralien eine besondere Wirk-
kraft gegen Schadenzauber zumaß.

Die dominante Technik der Beschwörungsrituale des
Abwehrzaubers besteht in der Manipulation von Figuren des
Hexers und der Hexe. Sie werden vor dem göttlichen Gericht
schuldig gesprochen und durch den auf sie rückübertragenen
Schadenzauber, den sie ursprünglich selbst gegen den Patienten
ins Werk gesetzt hatten, spiegelbildlich zugrunde gerichtet. Die
Materialien der Figuren und die Art ihrer Emiedrigung und

tatsächlich kulturgebundenen Syndromen und Leiden, die auf einen objek-
tivierbaren Erreger oder eine kulturunabhängige physiologische oder psy-
chische Fehlfunktion zurückführbar sind, aber gleichwohl eine kulturspezi-
fische Deutung erfahren, im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten (vgl. etwa
W.M. Pfeiffer, Kulturgebundene Syndrome).

12 Zu einer anderen Deutung des Verhältnisses zwischen Heilmittel und
Beschwörungsritual in der babylonische Heilkunde kommt S.M. Maul auf-
grund seiner Analyse eines umfänglichen Rituals gegen mämTtu „Bann“
bzw. „Fluch“ (‘Lösung vom Bann’ 79-95, besonders 89f.). Für die (not-
wendige) ausführlichere Diskussion dieser Problematik ist hier nicht der Ort.

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