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Vernichtung divergieren im einzelnen von Ritual zu Ritual, folgen
aber überwiegend festen Grundmustern, die in unterschiedlichen
Kombinationen immer wiederkehren. In einer Reihe von Texten
ist eine namentliche Beschriftung der Figuren vorgesehen. Die
Rituale können von apotropäischen Maßnahmen und Reini-
gungsriten beschlossen werden, die eine künftige Wieder-
erkrankung des Patienten verhindem sollen. Zu Beginn der
Agenda stehen bei feierlicheren Ritualen die üblichen Opfer-
handlungen für die angemfenen Gottheiten, denen dann eine
Reinigung des Ritualschauplatzes, teilweise auch des Patienten,
vorausgeht.

Die Beschwömngen stellen vor den Göttern, insbesondere
aber vor dem Sonnengott Samas, anklagend das böse Tun von
Hexer und Hexe dar, um so deren Vemrteilung und damit die
Revision des zuvor gegen den Patienten gefällten Verdikts zu
erwirken. Sie fassen das rituelle Tun des Patienten ins Wort und
explizieren rituelle Gesten. Dabei kann das rituelle Tun in einen
größeren kosmisch-mythologischen Zusammenhang gestellt
werden. 13 Die Bitte um göttliche Hilfe, Dankversprechen und der
Lobpreis der jeweiligen Gottheit werden artikuliert. Neben den
typischen Gebetsbeschwörungen, die sich direkt an eine Gottheit
wenden, begegnen in den Abwehrzauberritualen auch Be-
schwömngen, die sich auf die im Ritual verwendeten Substanzen
beziehen, sowie Texte, die direkt Hexer und Hexe mit Beschuldi-
gungen und Drohungen ansprechen.

Neben den typischen „Prozeß-Ritualen“ vor Samas, wie sie
auch im vorliegenden Band prominent vertreten sind (vgl. bei Nr.
8ff. und Nr. 21ff.), lassen sich inzwischen eine Reihe unter-
schiedlicher Abwehrzauberrituale, die von anderen, individuelle-
ren Stmkturen geprägt sind, so weit rekonstmieren, daß eine
Gesamtinterpretation möglich wird. Dazu gehören beispielsweise
eine Gruppe von Texten, in denen Durchstechungsriten mit
Dattelpalmdornen eine wichtige Rolle spielen, 14 weiterhin ein
Ritual, dessen Stmktur wesentlich von den Mythen um Istars
Gang zur Unterwelt bestimmt ist, 15 ebenso ein eliminatorischer
Ritus, der sich die menschliche Gier zunutze macht und das Übel
auf einen Geldbeutel überträgt, der von einem zufälligen
Passanten auf Nimmerwiedersehen mitgenommen werden soll. 16
Schließlich sei ein zikuruda-Ritual erwähnt, das die rituelle
Entsorgung eines für diese spezielle Form des Schadenzaubers
typischen Zaubermittels mit Hilfe eines aufwendigen Begräbnis-
rituals bewerkstelligt. 17

Die prophylaktischen Maßnahmen, die gegen drohenden
Schadenzauber zu Gebote standen, lassen sich nicht überall

13 Das wichtigste Beispiel für eine solche kosmische Einbettung der
Ritualhandlung sind natürlich die ersten Beschwörungen des Maqlü-Rituals.

14 Siehe hier Nr. 22 (VAT 10094 [BAM 334] + VAT 10989) und Nr. 23 (VAT
13611 [LKA 156]) mit den angegebenen Duplikaten, Nr. 34 (VAT 13619)
mit den angegebenen Duplikat- und Paralleltexten sowie Nr. 26 (VAT 13699
[LKA 159] + VAT 13849) und Nr. 27 (VAT 14341) mit dem unpubl.
Paralleltext K 888 (dazu nun Verf., BaM 37 [2006], im Druck).

15 W. Larber, BID, Hauptritual B; siehe hier Nr. 36 (VAT 14150+).

16 Siehe hier Nr. 24 (VAT 13609 [LKA 154] + VAT 13665 [LKA 155]) und
Nr. 25 (VAT 13644 [LKA 157]) mit dem Duplikat K 3394 (SRT pl. 7) +
unpubl. K 9866.

17 BAM 449 (+) 458 Vs. I 20’-II 10 (zum wichtigen Join siehe T. Abusch, RA
78 [1984] 94, übersehen bei M.-L. Thomsen, Zauberdiagnose 42f., B.M.
Nasrabadi, Untersuchungen 43f., A. Tsukimoto, Untersuchungen 135ff. [bei
letzterem gleichwohl sachlich im wesentlichen richtig gedeutet]).

scharf von den therapeutischen Ritualen und Rezepten abgrenzen.
Als Apotropaia dienen neben Salben und seltener auch Tränken
vor allem Gebinde unterschiedlicher Art, die dem Klienten um
den Hals gelegt werden. So knotete man Pflanzen, die als wirksam
gegen Schadenzauber galten, in Kordeln ein, die dem Patienten
um den Hals gelegt wurden, nachdem man das Gebinde mit einer
Beschwörung besprochen hatte. Daneben stehen Amulett-
steinketten unterschiedlichen Typs; gelegentlich werden in den
Ketten pflanzliche und mineralische Wirkstoffe kombiniert.

Darüber hinaus standen spezielle Rituale zur Verfügung,
wenn Vorzeichen von drohender Behexung kündeten. Sie kon-
zentrieren sich entweder auf den rituellen Schutz des Patienten
und seines Hauses oder vernichten - sozusagen im Vorgriff,
bevor das Unheil vom Patienten (ganz) Besitz ergreifen kann -
Hexer und Hexe nach Art eines Abwehrzauberrituals. Prophylak-
tisch gehalten sind auch viele der Rituale gegen eine zikuruda-
Behexung, da diese nach babylonischer Vorstellung selbst darin
bestehen konnte, daß Hexer und Hexe ihrem Opfer böse Omen-
anzeiger gesandt hatten. Auch hier kann daher der volle Eintritt
der Behexung noch im Vorfeld abgewendet werden. Schließlich
können auch normale Abwehrzauberrituale, nicht zuletzt Maqlü
selbst, prophylaktisch durchgeführt werden.

Das Corpus der Abwehrzaubertexte:

Die wichtigsten Texttypen

Die klare Scheidung zwischen Beschwörungsritualen und kurzen
Rezepten zur Herstellung von Heilmitteln, die von den wenigen
bisher bekannten einschlägigen Quellen aus altbabylonischer
Zeit suggeriert wird, läßt sich jedenfalls für die jüngere Über-
lieferung seit dem 13. Jh. nicht aufrechterhalten. Beide
Textsorten werden auf Sammeltafeln nebeneinandergestellt; dar-
über hinaus tradiert man kurze Beschwörungsrituale auch inner-
halb der für Rezepte typischen Formulare. Auch bei der
Serialisierung der Abwehrzauberrituale in neuassyrischer Zeit
spielte die Unterscheidung zwischen Beschwörungsritual
(nepesü) und Rezept (bultu) allem Anschein nach eine unter-
geordnete Rolle. Trotz solcher Überschneidungen bietet es sich
an, das Textmaterial grob entlang dieser Linien zu gliedern und
Untergruppen je nach Sachlage anhand von formalen und inhalt-
lichen Kriterien zu etablieren.

Dabei lassen sich die kurzen therapeutischen Texte nach
ihrem Einleitungsformular in drei Gruppen aufteilen: Ein erster
Typ von Vorschriften beginnt jeweils mit der Formel summa
amelu kasip „Wenn ein Mensch behext ist“ (vgl. hier Nr. 47), ein
zweiter mit ana piserti kispT „Zur Lösung von Hexerei“ (vgl. hier
die Nr. 42-46), ein dritter aber mit einer Symptombeschreibung
und kurzen Diagnose (vgl. hier die Nr. 48-49).

Thematisch zusammenfassen kann man Therapievorschriften
für Impotenz, als deren Ursache man Schadenzauber erkannt
hatte. In ähnlicher Weise untereinander sachverwandt sind Texte,
die der besonderen Gefährdung von Schwangeren, Gebärenden
und Kleinkindern begegnen wollen. Mit zuletzt genannter
Gruppe eng verbunden sind Listen von Amulettsteinen, die der
Abwehr von Schadenzauber dienen (vgl. hier Nr. 41).

Im Bereich der Beschwörungsrituale verdienen die in der
Antike mit usburruda-Rubriken bezeichneten Texte als eigene

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