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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0021
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XX

Einleitung des Herausgebers

biographisch eingefärbt mit Erfahrungen der eigenen Studienzeit, und sie enden mit
einem Zitat des Autors, der Jaspers früh geprägt hat. Der Schlusssatz der Existenzphi-
losophie ist der Schlusssatz von Spinozas Ethik, alles Vortreffliche sei so schwierig wie
selten - und vielleicht die Replik auf einen weiteren, dritten Schlusssatz: »Alles Große
steht im Sturm«.75
Die Vernunft bildet auch in den Frankfurter Vorlesungen das Pendant zur Existenz,
nur anders begründet und sogar emphatischer noch als in Vernunft und Existenz. Dort
war der Ausgangspunkt das Doppelporträt Kierkegaards und Nietzsches; effektvoll in
Szene gesetzt, mündet es in der lapidaren Frage: »Was nun?« Aber diese Frage hatte die
komplette Tradition der Metaphysik von Parmenides bis Hegel im Rücken, und Jas-
pers ließ keinen Zweifel daran, dass die gegenwärtige philosophische Situation, refle-
xiv geworden durch die »Erschütterung« Kierkegaards und Nietzsches, auf eine Wie-
deraneignung der Metaphysik hinauslief.76 Hier sind es Erfahrungen der Ohnmacht
und Ausweglosigkeit, die allerdings erst das Nachwort von 1956 deutlich anspricht.
Jaspers rekapituliert darin die »Stimmung«, in der die Frankfurter Vorlesungen ent-
standen, die Last einer »totalen Bedrohtheit«, die nicht nur die Person, sondern das
Philosophieren traf. Denn zu den Prämissen dieses Philosophierens zählte, dass die
Welt dem Selbstwerden des Einzelnen entgegenkomme. Zwar liegt, was wir aus uns
machen, jeweils an uns. »Sein« heißt existentiell, »es ursprünglich entscheiden.«77 Aber
die Entscheidung ist angewiesen auf Gehalte, auf ein Für oder Wider in offenen Situa-
tionen, auf Lebenszusammenhänge und gesellschaftliche Institutionen, in denen sie
sich erfüllen und sich verstetigen kann - kurz: auf einen Rahmen, unter dem steht,
was Jaspers die »Erscheinung der Existenz im Dasein«78 nennt. »In die Objektivität
der Gesellschaft zu treten, ist Bedingung für das Selbstsein«.79 Die Diktatur sprengte
diesen Rahmen. Entrechtung und Schikanen prägten eine >Kultur< des Oktroy, in der
man sich, ohne Risiken einzugehen, nur noch strategisch verhalten konnte; nicht auf-
zufallen lautete die Devise, während der philosophische Existenzbegriff dem Postulat

75 So übersetzt Heidegger Platon (Politeia 497b: gsyaZa navra äniacpaZii) in: »Die Selbstbehauptung der
deutschen Universität«, GA 16, 107-117, 117; vgl. R. Brandt: »Martin Heidegger: >Die Selbstbehaup-
tung der deutschen Universität««, in: Diktatur und Diskurs. Zur Rezeption des Totalitarismus in den
Geisteswissenschaften, hg. von S. Poggi und E. Rudolph, Zürich 2005,37-74, 45f.

76 Vgl. S. 90: »Wenn Gedanken und Existenz Kierkegaards und Nietzsches uns revolutioniert haben,
kommen wir zu Einsichten, deren Gehalt wir rückläufig im Philosophieren der Vergangenheit wie-
dererkennen. Was schon getan wurde, aber durchweg ohne letztes methodisches Selbstbewußt-
sein blieb, meinen wir noch einmal eigentlich zu verstehen. Wir glauben die Ursprünge des ewi-
gen Philosophierens, der philosophia perennis, bewußter aufzuspüren, das echte Philosophieren
von rationalen Leerheiten klarer zu scheiden.«

77 Philosophie 1, 15.

78 Philosophie 11, 195, vgl. 1, 70: »Dasein als Existenzobjektivität«.

79 Philosophie 11, 375.
 
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