XXXVI
Einleitung des Herausgebers
zitiert und variiert, um die protoreligiöse Form eigentlichen Selbstseins nicht zu ba-
gatellisieren. Wo der Einzelne sich >ganz in der Hand seines Gottes< glaubt, genügt der
Verweis auf den Vernunftglauben nicht mehr, um plausibel zu machen, dass die auf
sich stehenden Existenzen in der Lage sind, die verschiedenen Weisen des Umgreifen-
den als kommunikative Formen gegenseitigen Verständlichwerdens venünftig zusam-
menzuhalten. Kant, heißt es schon in einem Vortrag von 1924, fehle »der Blick für die
ursprüngliche Lebensmacht der unvernünftigen und übervernünftigen Religion«.138
Die Alternative, oder besser: das Update zum Vernunftglauben ist der philosophische
Glaube, »den man auch Glauben an Kommunikation nennen kann«.139 Er nimmt das
religiös konnotierte >Andere< auf, dem sich der Einzelne konfrontiert sieht, um die Op-
tionen ausloten, die die individuelle Transzendenzerfahrung unter dem Postulat eines
universellen Kommunikationswillens enthält. Das Postulat wird der Transzendenzer-
fahrung nicht einfach übergestülpt: Als Glaube an Kommunikation zehrt der philo-
sophische Glaube gerade davon, dass die individuelle Transzendenzerfahrung unmit-
teilbar bleibt. Denn erst die Unmitteilbarkeit »letzter« Erfahrungen verdeutlicht, dass
Kommunikation nicht darin aufgeht, Informationen unfallfrei von a nach b zu trans-
portieren, sondern einer Solidarität vertraut, die noch an der Grenze gegenseitigen
Verständlichwerdens als normativer Anspruch lebendig ist.
Dafür muss die individuell erfahrene Transzendenz »erhellt« werden durch ein
Denken, das sie zu Begriffen eines Unbedingten oder Absoluten formalisiert. In die-
sem formalen Transzendieren bringt sich zwar erneut die Subjekt-Objekt Spaltung zur
Geltung, weil das Absolute nur in vergegenständlichenden Kategorien gedacht werden
kann. Daraus entstehen, wie Jaspers zeigen will,14° logische Widersprüche, an denen
das formal transzendierende Denken strandet. Zugleich jedoch entwickelt das formale
Transzendieren ein spielerisches Bewusstsein der Bildhaftigkeit, das es als Korrektiv an
die Existenz zurückgibt. Es sind nur Bilder, die wir uns von der Transzendenz machen,
ein freies, und in der Konsequenz: ein gemeinsames Verhältnis zu dem, was in der in-
dividuellen Erfahrung aufblitzt, erreichen wir erst, wenn es als Chiffre lesbar wird. 141
138 »Kant. Vortrag bei der Kantfeier Heidelberg 1924«, 19.
139 Der philosophische Glaube, 46.
140S. 72-76.
141 Man kann, mit Gerhard Krüger, einwenden, dass Jaspers hier nicht konsequent genug verfährt:
Wenn schon Metaphysik, sollte das Sein gleich so in Anschlag gebracht werden, dass es sich im
Zugriff des Denkens nicht in Chiffren auflöst, sondern das Denken erhellt und sensibel macht für
das, was in der Welt nicht bloß Erscheinung, sondern Substanz ist. »Plato [...] hat gezeigt, daß es
möglich ist, das Wesen der Vernunft im primären Hinblick auf ihre maßgebende >Transcendenz<
als ein durch »Erleuchtung« konstituiertes Können zu verstehen. Auch das platonische >Gute< ist
ein Unsagbares. Aber das, was in seinem Lichte sichtbar wird, ist die »bleibende Ordnung«, die Jas-
pers' Philosophie mit Leidenschaft sucht«: »Die Erneuerung der Metaphysik [...] kann offenbar
nur durch ein wahrhaft metaphysisches Denken gelingen.« (»Karl Jaspers, »Vernunft und Exis-
Einleitung des Herausgebers
zitiert und variiert, um die protoreligiöse Form eigentlichen Selbstseins nicht zu ba-
gatellisieren. Wo der Einzelne sich >ganz in der Hand seines Gottes< glaubt, genügt der
Verweis auf den Vernunftglauben nicht mehr, um plausibel zu machen, dass die auf
sich stehenden Existenzen in der Lage sind, die verschiedenen Weisen des Umgreifen-
den als kommunikative Formen gegenseitigen Verständlichwerdens venünftig zusam-
menzuhalten. Kant, heißt es schon in einem Vortrag von 1924, fehle »der Blick für die
ursprüngliche Lebensmacht der unvernünftigen und übervernünftigen Religion«.138
Die Alternative, oder besser: das Update zum Vernunftglauben ist der philosophische
Glaube, »den man auch Glauben an Kommunikation nennen kann«.139 Er nimmt das
religiös konnotierte >Andere< auf, dem sich der Einzelne konfrontiert sieht, um die Op-
tionen ausloten, die die individuelle Transzendenzerfahrung unter dem Postulat eines
universellen Kommunikationswillens enthält. Das Postulat wird der Transzendenzer-
fahrung nicht einfach übergestülpt: Als Glaube an Kommunikation zehrt der philo-
sophische Glaube gerade davon, dass die individuelle Transzendenzerfahrung unmit-
teilbar bleibt. Denn erst die Unmitteilbarkeit »letzter« Erfahrungen verdeutlicht, dass
Kommunikation nicht darin aufgeht, Informationen unfallfrei von a nach b zu trans-
portieren, sondern einer Solidarität vertraut, die noch an der Grenze gegenseitigen
Verständlichwerdens als normativer Anspruch lebendig ist.
Dafür muss die individuell erfahrene Transzendenz »erhellt« werden durch ein
Denken, das sie zu Begriffen eines Unbedingten oder Absoluten formalisiert. In die-
sem formalen Transzendieren bringt sich zwar erneut die Subjekt-Objekt Spaltung zur
Geltung, weil das Absolute nur in vergegenständlichenden Kategorien gedacht werden
kann. Daraus entstehen, wie Jaspers zeigen will,14° logische Widersprüche, an denen
das formal transzendierende Denken strandet. Zugleich jedoch entwickelt das formale
Transzendieren ein spielerisches Bewusstsein der Bildhaftigkeit, das es als Korrektiv an
die Existenz zurückgibt. Es sind nur Bilder, die wir uns von der Transzendenz machen,
ein freies, und in der Konsequenz: ein gemeinsames Verhältnis zu dem, was in der in-
dividuellen Erfahrung aufblitzt, erreichen wir erst, wenn es als Chiffre lesbar wird. 141
138 »Kant. Vortrag bei der Kantfeier Heidelberg 1924«, 19.
139 Der philosophische Glaube, 46.
140S. 72-76.
141 Man kann, mit Gerhard Krüger, einwenden, dass Jaspers hier nicht konsequent genug verfährt:
Wenn schon Metaphysik, sollte das Sein gleich so in Anschlag gebracht werden, dass es sich im
Zugriff des Denkens nicht in Chiffren auflöst, sondern das Denken erhellt und sensibel macht für
das, was in der Welt nicht bloß Erscheinung, sondern Substanz ist. »Plato [...] hat gezeigt, daß es
möglich ist, das Wesen der Vernunft im primären Hinblick auf ihre maßgebende >Transcendenz<
als ein durch »Erleuchtung« konstituiertes Können zu verstehen. Auch das platonische >Gute< ist
ein Unsagbares. Aber das, was in seinem Lichte sichtbar wird, ist die »bleibende Ordnung«, die Jas-
pers' Philosophie mit Leidenschaft sucht«: »Die Erneuerung der Metaphysik [...] kann offenbar
nur durch ein wahrhaft metaphysisches Denken gelingen.« (»Karl Jaspers, »Vernunft und Exis-