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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0048
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Einleitung des Herausgebers

XLVII

sprengt sei; die Steine, bereits mehr oder weniger behauen, weisen auf ein Ganzes. Aber
das Bauwerk, um dessen willen gesprengt schien, ist nicht errichtet.« 177 Ein Trümmer-
haufen ist Jaspers' CEuvre nicht - eher ein monumentaler Rohbau wie Gaudis Sagrada
Familia. Einzelne Areale sind fertig. Dazwischen stehen Kräne und Gerüste.
Den Gerüsten entsprechen Theoriestücke, die Jaspers der Tradition entnimmt: die
Subjekt-Objekt-Beziehung, (diverse) Begriffe von »Idee«, »Welt« oder »Dasein«, Hegels
Kategorien des Ansichseins und Fürsichseins. Jaspers arbeitet mit diesen Unterschei-
dungen, nicht an ihnen; ihr operativer Sinn fordert geradezu, dass sie, nicht zuletzt
durch eine gewisse Äußerlichkeit und Nonchalance der Anwendung, als Instrumente
sichtbar bleiben, auf die das transzendierende Denken angewiesen ist und deren pro-
visorischen Charakter es nicht abstreifen kann.
Als Baukräne dagegen muss man sich die zahlreichen Dispositionen, Einleitungen,
autobiographischen Auskünfte vorstellen, die Jaspers' Texte flankieren. Ihre Funktion
besteht darin, einzelne Passagen, Kapitel, z.T. ganze Bücher (Buchprojekte) zu veror-
ten, aber so, dass sie prinzipiell auch an andere Stelle gehievt werden könnten. Ent-
wicklungsgeschichtliche Schemata sind hier allenfalls heuristisch brauchbar, und im
Zuge der systematischen Erschließung des Jaspers'schen Nachlasses wissen wir, je län-
ger, je mehr, dass wir nicht genau wissen, was am Ende wohin gehört. »An sich un-
abschließbar« nannte Jaspers in einem Nekrolog zu Lebzeiten seine philosophische
Arbeit.178 Sie läuft auf keine fertige Kathedrale hinaus und auf kein Schloss, nicht ein-
mal auf die Hütte daneben. Und es ist sicher kein Zufall, dass Jaspers schon früh im
Werk Max Webers das Fragmentarische als Auszeichnung erkannte.179
Also doch ein Trümmerhaufen? Nur, wenn man das Philosophieren in Verbindung
bringt mit einer Metaphorik des Wohnens, der seit alters die Zweideutigkeit anhaftet,
ausgerechnet im Systembau realisiere sich die Welthaftigkeit des Denkens.180 Die Sys-
teme sind inzwischen vom Tisch, zurückgeblieben ist die etwas blasse Idee einer »Ar-
chitektonik«. Es hatte insofern eine gewisse Konsequenz, wenn Heidegger die Ver-
hältnisse umkehrte:181 Erst kommt das Wohnen, dann das Bauen, aber damit war die
Philosophie zugleich an einen primordialen, letztlich dichterischen Weltbezug ver-
wiesen, dessen normative Implikationen - sozusagen die Hausordnung des Denkens -
nicht mehr Gegenstand der Kritik sein konnten. Anders als Heidegger hat Jaspers die
Metapher des Wohnens bereits in der Psychologie der Weltanschauungen aufgebrochen.

177 Nietzsche, 9.

178 »Nekrolog, von ihm selbst verfaßt« [1969], hier zit. nach: Offener Horizont. Jahrbuch der Karl-Jas-
p ers-Gesellschaft 2 (2015) 75-76, 76.

179 Vgl. »Max Weber - eine Gedenkrede«, 416.

180 Vgl. A. Beelmann: »Wohnen«, in: Wörterbuch der philosophischen Metaphern. Hg. von R. Koners-
mann, Darmstadt 2011, 551-563, hier: 553-555.

181 Vgl. M. Heidegger: »Bauen Wohnen Denken« [1951], GA 7, 145-164.
 
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