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Existenzphilosophie
Verdacht, daß es im Grunde der Religion nicht recht zugehe und nicht wahr sei? Ist sie
nicht schon Kampf gegen Religion?
Dazu ist zu antworten: Es ist unausweichlich, daß, wenn von der Philosophie her
über Religion gesprochen wird - und nicht anders, wenn von der Religion her über
Philosophie gesprochen wird -, die Charakteristik dem Getroffenen unangemessen er-
scheinen muß. Philosophie und Religion werden nur verstanden von dem, der, sei es
durch den philosophischen oder sei es durch den religiösen Glauben, er selbst ist. Es
wäre wohl auch ein Irrtum zu meinen, der Mensch, der vom einen Glauben zum an-
deren gehe, müsse nunmehr beide verstehen, weil er doch beide wirklich erfahren
habe. Es ist zu vermuten, daß ein zum religiösen Glauben Gekommener, der vorher
81 | Philosoph war, niemals beim eigentlichen Philosophieren war, - wie es aber dem Phi-
losophierenden geht, der vom religiösen Glauben her kommt, das ist vielleicht die
Spannung dieses Glaubens selbst.270
Die Folge dieser Einsicht ist, daß von der Philosophie her eine Haltung entwickelt
wird, die, gemessen an dem Gedanken einer einzigen allgemeingültigen Wahrheit, ei-
nen paradoxen Charakter hat:
a) Philosophie muß sich auseinandersetzen mit dem Anspruch der Wahrheit, die
nicht Philosophie ist. Sie läßt sich angehen von dem, was sie selbst nie werden kann,
und ohne das sie doch nicht wäre, was sie ist. Es ist für das lebendige Philosophieren
eine Grundfrage, deren endgültige Antwort ausbleibt: wie es zur religiösen Wirklich-
keit steht, zu der Wirklichkeit, die in der Religion ergriffen wird, und zu der Wirklich-
keit der Menschen, die religiös glauben.
b) Zwischen Philosophie und Religion findet ein Kampf statt. Sofern dieser nicht
um Dasein in der Welt, sondern um Wahrheit geht, also nicht durch Gewalt, sondern
geistig mit Gründen, Tatsachen, Fragen stattfindet, muß für ihn folgende Regel gelten:
Wenn Philosophie und Religion einander entgegengesetzt werden, muß man beide
auf gleichem Niveau, darf nicht die eine in hoher, die andere in abgeglittener Gestalt
ins Auge fassen.
Eine Philosophie, deren Träger glaubenslos, weil existenzlos ist und in leeres Den-
ken und unwirkliche Behauptungen verfällt, in die bloße Immanenz abgleitet, in ei-
nem Gewußten als dem Absoluten sich verfängt, ist so wenig noch Philosophie, wie
eine Religion, die in der geistlosen Sinnlichkeit eines vermeintlich Übersinnlichen sich
festsetzt, noch Religion ist. Dann ist der Kampf gegen die Öde der Philosophie, gegen
ihre zersetzende Wirkung, ihren unernsten Charakter ebenso berechtigt wie der Kampf
82 gegen den Aberglauben der Religion, ihre | fanatisierende und zerstörende Wirkung,
gegen die Existenzlosigkeit der sie tragenden Menschen.
Anders aber als Religionsfeindschaft ist die Religionsfremdheit der Philosophie.
Das philosophische Denken läßt einen Ursprung fühlbar werden, der in der religiösen
Gestalt nicht sein Genüge findet. Dieser Ursprung erfährt eine Erfüllung durch Wirk-
Existenzphilosophie
Verdacht, daß es im Grunde der Religion nicht recht zugehe und nicht wahr sei? Ist sie
nicht schon Kampf gegen Religion?
Dazu ist zu antworten: Es ist unausweichlich, daß, wenn von der Philosophie her
über Religion gesprochen wird - und nicht anders, wenn von der Religion her über
Philosophie gesprochen wird -, die Charakteristik dem Getroffenen unangemessen er-
scheinen muß. Philosophie und Religion werden nur verstanden von dem, der, sei es
durch den philosophischen oder sei es durch den religiösen Glauben, er selbst ist. Es
wäre wohl auch ein Irrtum zu meinen, der Mensch, der vom einen Glauben zum an-
deren gehe, müsse nunmehr beide verstehen, weil er doch beide wirklich erfahren
habe. Es ist zu vermuten, daß ein zum religiösen Glauben Gekommener, der vorher
81 | Philosoph war, niemals beim eigentlichen Philosophieren war, - wie es aber dem Phi-
losophierenden geht, der vom religiösen Glauben her kommt, das ist vielleicht die
Spannung dieses Glaubens selbst.270
Die Folge dieser Einsicht ist, daß von der Philosophie her eine Haltung entwickelt
wird, die, gemessen an dem Gedanken einer einzigen allgemeingültigen Wahrheit, ei-
nen paradoxen Charakter hat:
a) Philosophie muß sich auseinandersetzen mit dem Anspruch der Wahrheit, die
nicht Philosophie ist. Sie läßt sich angehen von dem, was sie selbst nie werden kann,
und ohne das sie doch nicht wäre, was sie ist. Es ist für das lebendige Philosophieren
eine Grundfrage, deren endgültige Antwort ausbleibt: wie es zur religiösen Wirklich-
keit steht, zu der Wirklichkeit, die in der Religion ergriffen wird, und zu der Wirklich-
keit der Menschen, die religiös glauben.
b) Zwischen Philosophie und Religion findet ein Kampf statt. Sofern dieser nicht
um Dasein in der Welt, sondern um Wahrheit geht, also nicht durch Gewalt, sondern
geistig mit Gründen, Tatsachen, Fragen stattfindet, muß für ihn folgende Regel gelten:
Wenn Philosophie und Religion einander entgegengesetzt werden, muß man beide
auf gleichem Niveau, darf nicht die eine in hoher, die andere in abgeglittener Gestalt
ins Auge fassen.
Eine Philosophie, deren Träger glaubenslos, weil existenzlos ist und in leeres Den-
ken und unwirkliche Behauptungen verfällt, in die bloße Immanenz abgleitet, in ei-
nem Gewußten als dem Absoluten sich verfängt, ist so wenig noch Philosophie, wie
eine Religion, die in der geistlosen Sinnlichkeit eines vermeintlich Übersinnlichen sich
festsetzt, noch Religion ist. Dann ist der Kampf gegen die Öde der Philosophie, gegen
ihre zersetzende Wirkung, ihren unernsten Charakter ebenso berechtigt wie der Kampf
82 gegen den Aberglauben der Religion, ihre | fanatisierende und zerstörende Wirkung,
gegen die Existenzlosigkeit der sie tragenden Menschen.
Anders aber als Religionsfeindschaft ist die Religionsfremdheit der Philosophie.
Das philosophische Denken läßt einen Ursprung fühlbar werden, der in der religiösen
Gestalt nicht sein Genüge findet. Dieser Ursprung erfährt eine Erfüllung durch Wirk-