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Jaspers, Karl; Kaegi, Dominik [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 8): Schriften zur Existenzphilosophie — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69895#0271
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Stellenkommentar

penser que le verbe etre est transitif«). Jaspers hat diesen Versuch zurückgewiesen (S. 163),
folgenreicher als Jaspers' war jedoch Heideggers lakonische Antwort auf Wahl: es gehe gar
nicht um Existenzphilosophie und die menschliche Existenz, sondern um die Seinsfrage.
Als Terminus, der nicht zuletzt Heideggers Daseinsanalyse umfassen sollte, wird damit
auch »philosophie existentielle« obsolet. In dieser Gemengelage bot sich der Ausdruck
»existentialisme« an, der in der französischen Diskussion allerdings theologische Konno-
tationen mitbrachte: So kommt es zu der kuriosen Situation, dass Sartre den Begriff, dem
er diejenige Wendung geben sollte, von der Jaspers glaubte, sie vorweggenommen zu ha-
ben, zunächst ausdrücklich ablehnt: »Au cours d'un colloque organise pendant 1'ete [1945]
par les editions du Cerf - c'est-ä-dire par les Dominicains - Sartre avait refuse que Gabriel
Marcel lui appliquät cette etiquette: >Ma philosophie est une philosophie de l'existence;
Texistentialisme, je ne sais pas ce que c'est.<« (S. de Beauvoir: La force des choses, Paris
1963, 50).
Es ist im Übrigen nicht die vorliegende Stelle aus Vernunft und Existenz, an die sich Jaspers
später als seine vermeintliche Neuschöpfung erinnert (»Nachwort (1955) zu meiner >Phi-
losophie< (1931)«, XXIII und Provokationen, 39), sondern eine Passage aus Von der Wahrheit
(165), in der »Existentialismus« die Isolierung der Existenz von anderen Weisen des Umgrei-
fenden bedeutet, analog zu »Naturalismus« (als Verabsolutierung des Daseins) oder »Idea-
lismus« (als Verabsolutierung des Geistes). In Vernunft und Existenz dagegen bezeichnet
»Existentialismus« die verfehlte Objektivierung der Existenzerhellung selbst.
151 »Ichschemata« sind nach Philosophie II, 27 die »typischen Gestalten« von Ichaspekten,
Ichaspekte wiederum stehen für diejenigen Gesichtspunkte, unter denen wir kognitiv oder
praktisch auf uns selbst Bezug nehmen: Körper-Ich, soziales Ich, Leistungs-Ich und Erinne-
rungs-Ich.
152 Zu dieser (und weiteren) Maximen vgl. die »Grundforderungen der Philosophie des Um-
greifenden« in Von der Wahrheit, 188-189.
153 F. Hölderlin: »Sokrates und Alcibiades«, in: Werke, Briefe, Dokumente. Nach dem Text der
von F. Beißner besorgten kleinen Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe. Ausgewählt sowie mit ei-
nem Nachwort und Erläuterungen versehen von P. Bertaux, München 1963, 35: »Wer das
Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste, / Hohe Jugend versteht, wer in die Welt geblickt, /
Und es neigen die Weisen / Oft am Ende zu Schönem sich«.
154 Vgl. Philosophie II, 116: »schon aus der Vernünftigkeit unseres Daseins ergibt sich die Forde-
rung, das Maximum von Mitteilbarkeit zu erzielen; Mitteilbarkeit ist ein Merkmal der Wahr-
heit« - nach Jaspers nicht im Sinne der Mitteilung von Wahrheit an andere, sondern der
mit anderen geteilten Verständigung über Wahrheit. »Wahrheit« bedeutet im Rahmen der
verschiedenen Weisen des Umgreifenden jeweils Nützlichkeit, Richtigkeit, Evidenz - wel-
che Strategie nützlich, welches Urteil richtig oder welche Interpretation einleuchtend ist,
ergibt sich erst aus den Konsensbildungen einer Kommunikation, die, wiederum differen-
ziert als Kommunikation des Daseins, des Bewusstseins überhaupt und des Geistes, gemein-
schaftsstabilisierend wirkt. Bereits die Suche nach Wahrheit hat also, auf jeder Ebene des
Umgreifenden, den Effekt, Gemeinschaft zu fördern. »Für diese, und damit für den Men-
schen, der in ihr lebt, ist wahr allein, was mitteilbar ist; die allgemeine Mitteilbarkeit ist da-
her unbewußt die Quelle und das Kriterium der durch Gemeinschaft lebensfördernden
Wahrheit« (Nietzsche, 187, vgl. auch Von der Wahrheit, 546).
 
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