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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0061
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Grundsätze des Philosophierens

wird. Er ista in der verzweiflungsvollsten Lage, aber so, dass von dab an ihn die stärkste
Forderung zum Aufschwung durch seine eigene Freiheit ergeht. Daher die Schilderun-
gen des Menschen ihn immer wieder in der erstaunlichen Widersprüchlichkeit fassten,
ihn als das erbärmlichste und als das grossartigste Wesen sahen.
c. Die Mythen von Paradies und Erbsünde. - Die Endlichkeit und Unvollendbarkeit
des Menschen macht ihm bescheiden. Das Bewusstsein seiner Grenzen kann er sich
verschleiern nur um den Preis einer umso grösseren Verwirrung. Der zugehörige0 My-
thus sagt für sein Leiden in der Welt: er ist aus dem Paradies vertrieben, in dem er einst
war; für seine innere Unfestigkeit, die der transzendenten Hilfe bedarf: er ist der Erb-
sünde verfallen von Adam her. Beide Mythen sprechen eine nur halbe Wahrheit aus.62
Der Mythus von der Vertreibung aus dem Paradies scheint nur das negative Ver-
hängnis zu sehen, nicht aber, dass in dem Preisgegebensein alle Aufgaben des Men-
schen, seine Leistungsfähigkeiten, sein Erringen durch Freiheit, sein Wissenkönnen
und sein grenzenloses Voranschreiten ihren Ursprung haben.e
Der Mythus von der Erbsünde ist unangemessen, weilf er den bestimmten Aspekt
Gottes als Richter und als Spender der Gnade, das Weltgeschehens als Straf- und Erlö-
sungsprozess verabsolutiert. Im Menschsein liegt ein Sinn, der auch hierzu passt; es ist
das unausweichliche Schuldigsein, dessen der Mensch als eines Grundzuges seiner Un-
vollendung inne wird. Aber der in seiner Endlichkeit sich auf schwingende Mensch fin-
det11 so ursprünglich wie das Schuldigsein in sich1 einen eingeborenen Adel (nobilitas
ingenita).63 Gott hat in uns gelegt, was wir sein können. Wir sind nicht im Ganzen von
vornherein nichts als Sünder, sondern sind geführt durch diesen Adel in uns, der von
uns fordert. Wir sind noch nicht, was wir sein können; wir werden zum Sünder oder
nähern uns dem Adel. Wir sind weder endgültig Sünder, noch besitzen wir den Adel.
Aber an dem eingeborenen Adel, an einem inneren Wesen, das sich in jeweiligen Ge-
stalten, Bildern, Ideen zeigt, orientieren wir uns. An ihnen und in der Liebe zu dem
Adel, der uns unter Menschen begegnet, schwingen wir uns auf.

a ist im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu findet sich
b von da im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu dadurch
c nach ihn im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. , wenn er sich ihrer klar ist,
d zugehörige im Vorlesungs-Ms. 1945/46gestr.
e nach haben, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Erst die Vertreibung aus dem Paradies hat den Men-
schen zum Menschen gemacht, der, was er nun erreicht, auch sich selbst verdanken soll.
f weil im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu soweit
g Weltgeschehen im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Bild des Weltgeschehen [s]
h der in seiner Endlichkeit sich auf schwingende Mensch findet im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg.
zu der Mensch findet in sich
i in sich im Vorlesungs-Ms. 1945/46gestr.
 
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