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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0297
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294

Grundsätze des Philosophierens

Dem Staate ist wesentlich, Herrschaft zu sein. Er ist die Realität von Willensverhält-
nissen. Zu deren Verwirklichung dient alles andere, das Gebiet, der Verband, das Ei-
gentum usw. Der Charakter des Staates als Realität von Willensverhältnissen ist ausge-
sprochen in den beiden Sätzen: der Staat ist Persönlichkeit, und: der Staat ist Einheit.
Der Staat ist Persönlichkeit. Der Wille kann sich nur als Wille einer Person äussern.
Der Entscheidungsakt, der Entschluss, die Führung müssen sich schliesslich im Willen
eines Menschen koncentrieren. Ob formal oder real, der Staat hat als Spitze eine Persön-
lichkeit, eine jeweils einzige, die ihn repraesentiert. Der Wille aber, der sich im Staat ver-
wirklicht, ist Wille in allen einzelnen Menschen. In jeder Persönlichkeit ist eine Teil-
nahme am Staat, wenn nicht wirklich, doch möglich. Dieser Wille in den Einzelnen als
Staatswille ist nicht der beliebige Willkürwille, sondern der »allgemeine Wille«, der in
den Einzelwillen gegenwärtig ist. Daher ist der Mensch, der staatlich denkt, in seinem
Wollen sich bewusst, nicht nur er selbst zu sein. Es ist im persönlichen Willen das Be-
wusstsein der Repraesentanz für ein Allgemeines, des zur Erscheinung Kommens eines
Allgemeinen, des Dienstes am Allgemeinen. Die Staatspersönlichkeit erscheint sowohl
in der Persönlichkeit des je einen Herrschers - sei dieser auch nur formale Spitze und nur
repraesentatives Vollzugsorgan des auf anderen Wegen zustande3 kommenden allgemei-
nen Willens -, wie in allen Persönlichkeiten, deren Wesen sich der Verantwortung staat-
licher Reife bewusst geworden ist.
Der Staat ist Einheit. Die vielen Willen werden erst Staatswirklichkeit, wo sie ein
einziger Wille geworden sind. Der Grundcharakter des Staates ist es, dass aus der fak-
tischen Vielfältigkeit des Wollens die Einheit erwächst. Wie sie erwächst, das macht
die besondere Erscheinung des Staates aus. Der Wille wird Einheit vermöge der Selbst-
bindung der einzelnen Willen durch die Methode der objektiven Willensbildung. Die
Einzelnen binden sich an Beschlüsse, die in den Formen der Gemeinschaft gefasst wur-
den, bis zu ihrer methodisch geregelten Abänderung. Der Wille wird Einheit als recht-
lich gebundener Wille. Dieser wird aus der Vielheit individueller Willen auf Grund
von Rechtssätzen in gütigen Verfassungen gebildet. Wo dies nicht geschieht, tritt tat-
sächliche Gewalt an die Stelle, durch welche die Widerstrebenden gezwungen werden,
zu gehorchen, auch ohne zu verstehen und ohne am Entschluss Anteil zu haben. Die
Einheit ist realiter durch einen Teil der Gemeinschaft für die ganze Gemeinschaft ver-
wirklicht. Soweit dieses gegen die Gemeinschaft durch Gewalt geschah, ist die Kraft
der Einheit geschwächt und unterhöhlt. Aber immer ist die Einheit da, solange der
Staat da ist.

zustande nach der Abschrift Gertrud Jaspers statt zu stände im Ms.
 
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