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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0329
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Grundsätze des Philosophierens

Allen diesen Möglichkeiten gegenüber geht die reine Idee der Weltordnung auf
nichts als die Daseinsgrundlagen aller. Die einheitsstiftende Besonderheit (einer Na-
tion, eines Machtwillens, eines Glaubens) hat nicht das Recht, sich zu verabsolutieren
und die Weltherrschaft einseitig auszuüben, weder über alle Menschen, noch über den
einzelnen Menschen im Ganzen. Die Weltordnung im einen Weltreich kann alle um-
fassen nur gerade dadurch, dass sie alle Menschen freilässt, weil sie sie allein in der Vor-
bedingung des Menschseins, im Dasein trifft, sie darin zugleich erweitert, sichert und
beschränkt. Alle jene früheren Möglichkeiten haben in sich an Gehalten zu wenig oder
zu viel; zu wenig, wenn sie nicht die gesamte Menschheit, sondern Teilgruppen tref-
fen, zu viel, wenn sie nicht nur Dasein, sondern mehr als Dasein treffen wollen.
Die Idee hat ihre Wahrheit gerade in Beschränkung auf Daseinsordnung. Sie ver-
wirklicht nicht den Endzweck des Menschen, sondern schafft nur den Boden. Der End-
zweck des Menschseins ist in der Erscheinung ein vielfacher, die Daseinsordnung als
Boden der Freiheit kann einheitlich sein. Diese Einheit der Idee liegt in der Methode,
mit der die Freiheit aller ermöglicht wird, sie liegt nicht im einzelnen materiellen Ziel.
Diese methodische Ordnung im Dasein aller macht erst die Kräfte frei für die höheren
Stufen des Menschseins, die sonst im Kampf der Selbstbehauptung gebunden bleiben
und verwildert werden. Die Ordnung des Daseins bringt diese Kräfte aber nicht her-
vor; sie sind auch nicht bewusst von einem menschlichen Herrschaftscentrum her mit
Erfolg zu führen. Unter solcher Führung würden sie beschränkt, nivelliert, gelähmt.
Sie müssen aus ihrer Ursprungsverschiedenheit in Spannung und Communication
bleiben. Dadurch allein bleibt Offenheit des Menschseins für seine Zukunft, bleibt
Schaffensmöglichkeit, Bereitschaft zu neuen Erfahrungen, Wirklichkeit des Schick-
sals. Diese Möglichkeiten bedürfen der freien Communication, Widerstreiten der Cen-
trierung auf eine alle Menschen umfassende Einheit. Das Leben der Menschen lässt
sich nicht in einem Gehäuse fassen und ordnen, ohne es zu vernichten. Aber es lässt
sich in seinem Daseinsboden ordnen, um sein Wachstum nach allen Richtungen zu
ermöglichen. Gehäuse müssen auftreten, als von dem jeweiligen Leben für sich her-
vorgebracht und eine Zeitlang giltig, bis sie wieder gesprengt werden. Sie sind je eins
unter anderen. Aber ein Gehäuse darf dem Leben des Menschseins nicht als ein für alle
gleiches aufgezwungen werden, weder für alle Menschen auf der Erdoberfläche, noch
für alle Zeiten. Es ist kein von Menschen verwaltetes, für alle Menschen gütiges Total-
gebilde möglich ohne Verengung und Tod, ohne Tyrannei und Inquisition. Nur eine
Daseinsordnung, die die geistigen und existentiellen Möglichkeiten nicht einschliesst,
sondern frei lässt, ist wahr.
Gegen die reine Idee der Daseinsordnung steht die zum Menschsein schlechthin
verabsolutierte Daseinsordnung. In zwei Richtungen ist dies näher zu vergegenwärti-
gen. Erstens: der Weltstaat ist nicht Weltkirche. Zweitens: der einzelne Mensch ist
nicht nur Glied des Staates, sondern steht als er selbst auch dem Staate gegenüber.
 
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