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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0332
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Grundsätze des Philosophierens

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stus als Gottes Sohn und seine Stiftung vgl. S. [471-475] ;239 während der Glaube an Chri-
stus in einigen seiner Gehalte unantastbar ist, ohne allgemeingiltig zu sein, ist jener
specifische Christusglaube als Kirchenglaube schlechthin unglaubwürdig und philo-
sophisch als falsch zu verwerfen; hier gibt es redlicherweise kein conciliantes Auswei-
chen). Weil es in der Religion nicht die ausschliessliche Wahrheit für alle als ein Gewuss-
tes, als Bestand und Endgiltigkeit, als Identität durch alle Zeiten und über alle Völker
gibt und nicht geben kann, kann eine Weltkirche weder in ihren Ansprüchen noch in
ihrer Realität jemals wahr sein. Sie bleibt im Gegensatz zu ihrem Anspruch immer ein
menschliches und damit endliches Gebilde. Die Kraft des Religiösen lebt in geschicht-
licher Gestalt in der Mannigfaltigkeit seiner Formen und Gehalte aus der Tiefe seines
jeweiligen geschichtlichen Grundes. Sie muss in der Zersplitterung leben, um das Eine,
auf das sie alle convergieren, nicht in vorzeitigem, menschlichen Zugriff zu verengen.
Sie ist radikal verdorben in der Auffassung, die sagen kann: »Die Kirche ist nicht etwas,
was nur innerhalb der Menschheit sich aufrichten möchte. Sie ist vielmehr etwas, was
alle Schranken der Menschheit niederreisst. Sie ist so gross und so weit wie die Mensch-
heit selbst.« (Adam S. 90).240 Solche Worte liessen sich sagen von der unsichtbaren Kir-
che als dem Reiche Gottes. Aber sie treffen keine sichtbare Kirche, sprechen keine mög-
liche Idee einer realen Kirche in der Welt aus. Es ist daher auch kein Bedürfnis nach
einer Weltkirchenunion, wie eine Notwendigkeit der Weltstaatenunion vorliegt. Eine
Weltkirchenunion würde immer zur Nivellierung führen und zudem den Kräften ka-
tholischer Macht- und Einheitsbildung Vorschub leisten. Dagegen ist es sinnvoll, die
möglichst tiefe Communication zwischen den Erscheinungen der Religion, Ausspra-
che, Mitteilung, Verkündigung zu verwirklichen. Doch Propaganda, Bekehrungsdrang,
Ausbreitungswille entspringen unreligiösen Antrieben.
Dass die Einheit der Menschheit zwar in den Daseinsgrundlagen als Weltreich3,
nicht aber in ihrem Glauben, ihrer Gotteserfahrung, ihrem Geiste als Weltkirche ge-
wollt werden kann, ist durch ein Gleichnis zu verdeutlichen. Wie die Befriedung und
Technisierung des Erdballs als eine Vorbereitung angesehen werden kann für das Ein-
dringen der Menschen in den Kosmos, wie also die Erde nicht als selbstgenügsame Ge-
schlossenheit, sondern als schmale Basis für den Sprung ins Grenzenlose gelten kann,
so ist die Vereinigung der Menschen nicht Abschluss im irdischen Gottesreich, sondern
Daseinsordnung als Voraussetzung zum Schaffen der Bedingungen immer tieferer Got-
teserfahrung. Diese aber geschieht nicht durch die Einheit des objektiv gewordenen
Wahren, sondern in der Communication des Ursprungsverschiedenen zum Hellwer-
den der auf so verschiedenen Wegen gehenden Offenheit für die Transcendenz. Dieses
Eine, Gemeinsame der Transcendenz liegt im grenzenlosen Raum des Umgreifenden,
zu dem jede geschichtliche Erscheinung und Objektivität nur ein Weg ist.

Weltreich im Ms. hs. Vdg. für Weltstaatsunion
 
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