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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0337
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334

Grundsätze des Philosophierens

bei ist nicht nur der phantastische Irrtum möglich, ein Mensch könne mit Erfolg am
Menschen bilden wie ein Plastiker am Ton, gleichsam wie Gott den Menschen geschaf-
fen habe (während alle Menschenbildung nur in Communication von Menschen statt-
findet), sondern auch der nur scheinbar weniger utopische Anspruch, bei absoluter
Herrschaft durch scheinbare Nichtgewalt mit Aufklärung und Güte die menschlichen
Zustände pflegen zu können, gleichsam aus der frei wachsenden Gartenlandschaft des
menschlichen Gemeinschaftslebens einen wohlbeschnittenen Park zu machen.245
b) Statt das Fern- und Endziel der Weltordnung immer fühlbar bleiben zu lassen[,]
verliert man sich in eingeschränkte Absolutheit einer Person, einer Familie, eines Lan-
des, eines Volkes. Die Selbstbehauptung des Partikularen hat ihr volles Recht, soll aber
in der Idee unter die Bedingung der schliesslich zu gewinnenden Gemeinschaft aller
gestellt werden.
b. Die Mittel zum Ziel
In jedem Tun ist etwas enthalten, das Mittel für anderes ist, ein Ungenügen, das erst
im Zweck seinen Sinn findet. Aber in jedem befriedigenden Tun ist zugleich ein Ziel
schon gegenwärtig, ein Genügen an der Sache, ein Selbstzweck. Ein Unterschied liegt
darin, was im Tun unmittelbar gemeint ist, denn was wir tun, kann wesentlich als End-
ziel oder wesentlich als Mittel gemeint sein. Endziel ist als befriedigende Gegenwart,
Mittel als Arbeit für die Zukunft. Es zeigt sich, dass dem Menschen zwar in allem Tun
irgendein Minimum gegenwärtiger Erfüllung werden kann, dass aber auch sein erfüll-
festes Tun nicht absoluter Endzweck bleibt, sondern über sich hinausweist.
Was als Ziel gemeint ist, ist also faktisch zugleich auch Mittel für anderes. Wir le-
ben für unsere Gegenwart. Aber gegenwärtig Getanes wird Grund zukünftiger Zu-
stände und insofern Mittel für diese, auch wenn nicht an die Zukunft gedacht wird.
Denn wer etwas Wesentliches tut, will zwar für die Gegenwart wirken, arbeitet aber zu-
gleich für die Zukunft. So sind geistige Werke der Dichtung, Kunst, Wissenschaft, Phi-
losophie zwar jeweils ganz gegenwärtig und nicht als Mittel gemeint, und doch trägt
ihre Substanz die Zukunft. Denn wer den Besten seiner Zeit genug tut, lebt für alle Zei-
ten (Goethe).246 Wird aber das Geistige geradezu als Mittel zu einer bestimmten zu-
künftigen Verwirklichung gemeint, so ist es unrein. Es heisst »Tendenzdichtung« und
tendenziöse Philosophie, tendenziöse Wissenschaft, Tendenzkunst.
So ist es auch mit politischem Handeln. Dieses muss zunächst dem gegenwärtigen
Dasein dienen, jetzt und unmittelbar verwirklichen, was, indem es den lebenden Men-
schen hilft, die Zukunft bewirkt. Sofern das politische Handeln auf Bewusstsein und
Plan beruht, hat es jedoch immer mit Mitteln für ein gedachtes Ziel zu tun. Denn Pla-
nen setzt voraus, dass etwas nicht in Ordnung, sondern zu bessern ist und dass ein be-
stimmtes Ziel vor Augen steht. Das politische Denken und Handeln ist daher als sol-
ches tendenziös.
 
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