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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0415
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Grundsätze des Philosophierens

der Ernst der Wahrheit wirkt, wirksam sein in der Gedankenführung. Philosophische
Haltung setzt zwar unpersönliche Sachlichkeit überall dort voraus, wo es sich um sol-
che Sachen handelt - die dann immer Gegenstand von Wissenschaften werden. Wo
aber eigentlich philosophiert wird, also die Sache das Umgreifende ist, da zeigt sich
die philosophische Haltung auch in der Auswahl der Denker, an die man sich hält, de-
nen man folgt, und die man bekämpft.
4. Verengung durch Polemik:289 Polemisches Denken bringt eine wunderliche Er-
fahrung. Man wird munter, bewegt, zornig, fühlt Überlegenheit und gerät wohl in ei-
nen Jubel der triumphierenden Wahrheit, - aber ein nur für den Augenblick betäub-
tes Gewissen macht sich alsbald geltend. Man ist unzufrieden mit dem eigenen
Gemütszustand in solcher polemischen Verfassung. In ihm ist eine unbestimmte
Falschheit fühlbar. Das veranlasst zu fragen, ob man sich nicht getäuscht habe. Und
in der Tat: eine Täuschung ist in der Polemik fast immer unterlaufen. Denn das Ange-
griffene ist, je mehr es negiert wurde, desto mehr zu einer Abstraktion geworden. Nicht
die Realität eines Denkers oder eines Denkens im Ganzen ist getroffen, sondern nur
eine daraus entwickelte Konstruktion, manchmal fast ein Gespenst. Dann ist um so
entschiedener der Rückweg zu finden zu der Realität3 des Menschen, die aus dem Auge
verloren wurde. Indem ich polemisierte, wurde ich selber enger. Ich dränge zurück
zum Umgreifenden, vom Verstand und von der Leidenschaft13 zur Vernunft.
Polemik ist Angriff. Der Angriff fasst scharf ins Auge, was entgegensteht. Damit
wird das Blickfeld eng. Wenn ich negiere, verliere ich entweder meinen Gegner in sei-
ner ganzen Realitätc aus dem Auge, oder es wird durch meine Negation gerade entschie-
dener hervorgerufen, was vielmehr positiv ist. Im Kampfe überwindet der Kampf sich
selber, indem fühlbar wird, was liebenswert, womit nicht zu kämpfen, sondern Ver-
bindung zu suchen ist.
5. Öffentlichkeit: Wer für die Öffentlichkeit schreibt, dem fehltd der bestimmte Ge-
sprächspartner. Diskussion und Polemik gehen ins Anonyme. Im Geschriebenen fallen
die Regeln der persönlichen Communication hinweg, wenn sie auch vielleicht auf Ton-
art und Tendenzen des Schreibens immer noch Einfluss haben. Der Inhalt des schrift-
lich Gesagten wird objektiv fixiert und unbeweglich. Es gerinnt in Schematismen, wel-
che wohl Leitfaden6 wirklichen Sprechens sein können, es jedoch nie ersetzen, sondern
bestenfalls nur vorbereiten, als solche Vorbereitung aber auch unersetzlich sind. Denn
ein Gespräch kann um so klarer, entschiedener, offenbarender werden, je mehr die

a Realität im Aufsatz-Ts. 1946 hs. Vdg. zu Wirklichkeit
t> von der Leidenschaft im Ms. Vdg. für vom Herzen
c Realität im Aufsatz-Ts. 1946 hs. Vdg. zu Wirklichkeit
d Wer für die Öffentlichkeit schreibt, dem fehlt im Ms. hs. Vdg. für Wenn ich für die Öffentlichkeit
schreibe, fehlt
e nach Leitfaden im Ms. gestr. oder Gerüst
 
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