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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0428
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Grundsätze des Philosophierens

425

Menschenvergötterung entwürdigt den Menschen, indem sie ihm das Leben er-
leichtert. Sie gibt ihm das Handgreifliche, während in der Welt seine Lage ist, dieses
Handgreifliche zu entbehren3 und statt dessen nur möglichen Sinn, Chiffern und Bil-
der zu findenb auf dem Wege, auf dem er durch Gott selbst zu sich selbst kommen kann
und daher soll.
Was grosse Religionen in gewaltigen Erscheinungen verwirklichen, das ist im Men-
schenkultus, wie er ohne solche Religion sich an deren Stelle gesetzt hat, zwar schlecht
und kümmerlich, aber demselben Princip entsprungen.
cc. Nihilismus: Nihilismus ist Glaubenslosigkeit schlechthin, ohne Verkleidung.c
Alle Glaubensinhalte sindd hinfällig geworden, alle Auslegungen der Welt und des
Seinse als Täuschung entlarvt; alles istf bedingt und relativ, es gibt nichts Absolutes,
keinen Boden, kein Unbedingtes, kein Sein an sich. Alles ist fraglich. Nichts ist wahr,
alles ist erlaubt.310
Der Nihilismus wird gedanklich in mehreren Stufen vollzogen. Er geht jeweils aus
von einem zunächst nicht bezweifelten Wahrheitsstandpunkt, von dem aus Glaubens-
sätze negiert werden. Zum Beispiel:
Es ist kein Gott. Das Dasein Gottes, des Weltschöpfers, ist nicht bewiesen, ist nicht
einmal durch einen Ansatz eines Beweises auch nur als möglich oder wahrscheinlich
erkannt (aber dieser negative Gedanke behandelt Fragen der Transcendenz wie Fragen
nach endlichen Dingen in der Welt; er berührt garnicht das, was in solchen Sätzen ge-
troffen werden soll, indem er den Inhalt als eine dingliche Aussage über ein in der Welt
Vorkommendes nimmt).
Es ist kein Zusammenhang zwischen Gott und Mensch (dies ist, unter Verabsolu-
tierung des empirischen Erkennen [s] der Dinge in der Welt, Leugnung der existentiel-
len Erfahrung, welche sich eins weiss mit wesentlichen Menschen der Geschichte, mit
den Ahnen; Sokrates wagte daraufhin sein Leben preiszugeben).
Es gibt keine Verpflichtung gegen Gott (was gilt, wenn Verpflichtung aufgefasst
wird nur als eine solche gegen vorhandene Gesetze und Befehle in der Welt; aber alle
tiefe, unbedingte, lebentragende Verpflichtung hat nicht solch bequemen Halt).

a zu entbehren im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu entbehren zu müssen
b zu finden im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu finden zu können
c Nihilismus ist Glaubenslosigkeit schlechthin, ohne Verkleidung, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg.
zu Während Dämonologie und Menschenvergötterung einen Glaubensersatz bringen [,] ist die of-
fene Glaubenslosigkeit der Nihilismus. Er wagt es, aufzutreten ohne Verkleidung.
d nach sind im Vorlesungs-Ms. 1945/46Einf. ihm
e nach Seins im Vorlesungs-Ms. 1945/46Einf. hat er
f nach ist im Vorlesungs-Ms. 1945/46Einf. ihm
 
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