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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0483
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Grundsätze des Philosophierens

derung der inneren Bedingungen der wahren Gesetzestreue. Ein Mehr als Gesetzesge-
horsam gibt dem Gehorsam gegen das Gesetz erst seinen Wert:
»Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten. Ich aber sage
euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist schuldig.«3358
»Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch:
Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in
seinem Herzen.«b359
»Wie könnt ihr Gutes reden, dieweil ihr böse seid?«360 »Es werden nicht alle, die zu
mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun mei-
nes Vaters im Himmel.«361 Das heisst: Kein Sagen beweist ein Sein. Reinheit ist nur im
vollen Einssein von Reden und Tun.
»Niemand kann zweien Herren dienen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem
Mammon.«362 Das heisst:0 Unklarheit im Unbedingten hebt das Gute auf.
»Wenn du Almosen gibst, so lasse deine linke Hand nicht wissen, was die rechte
tut, auf dass dein Almosen verborgen sei.«363 »Wenn du betest, so gehe in dein Käm-
merlein und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.«364 Das heisst: Der Gute,
der sich vor dem anderen zeigt, um gesehen zu werden, ist nicht mehr gut, weil unrein
in den Motiven. Der Gute, der sich seines Gutestuns bewusst wird, ist nicht mehr gut,
weil er sich sich selber zeigt. Kein Mensch ist darum endgiltig gut. Jesus sagt: »Was
nennst du mich gut, gut ist allein der eine Gott.«365
Reinheit ist Bedingung des Guten. Reinheit fällt zusammen mit Wahrhaftigkeit und
Einfachheit.
Einfach wie das Gute ist auch das wahre Gebet, das, weil es nichts Bestimmtes will,
rein geworden ist und nichts ist als das Sichöffnen der Seele für Gott: »Unser Vater in
dem Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe
auf Erden wie im Himmel.«366
Reinheit der Seele öffnet das Sein: »Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie wer-
den Gott schauen.«367
Zweitens die Menschenliebe: Rechtssatzungen und Conventionen ordnen das
menschliche Zusammenleben. Aber solche Ordnung ist äusserlich, sie verschleiert die
Antriebe des Eigenwillens, des Hasses und des Neides. Wirkliche Gemeinschaft zwi-

a nach schuldig.« im Vorlesungs-Ms. 1945/46 kein Absatz
b nach Herzen.« im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Das heisst: Antriebe, die noch garnicht zu Hand-
lungen geführt haben, äusser zu Blick und Wort, sind schon böse. Unrein bin ich, solange solche
Antriebe in mir auftauchen.
c nach Das heisst: im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Wird das Unbedingte des Gottesdienstes un-
ter die Bedingung eines andern, des auch zu vollziehenden Mammonsdienstes, gestellt, so geht
es verloren.
 
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