Diplomaten und Anekdoten
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- und natürlich nicht nur dieser - doch insoweit ganz maßgeblich von Herodot, als
dass explizite Einzelverweise auf mündliche Informanten hier ganz fehlen.5 Während
beim berühmten pater historiae ein Netz von Verweisen auf Personen und Personen-
gruppen den Eindruck einer lebhaften mündlichen Tradition vermittelt und das Werk
gezielt strukturiert,6 treten bei Malalas mögliche mündliche Informanten alles an-
dere als offen zutage. Angesichts der starken Abnahme von Referenzen in den letzten
vier Büchern von Malalas’ Chronographia - und damit ab der Regierungszeit des im
Proömium explizit erwähnten Zenon - lässt sich der zum Auftakt des Werkes ange-
deutete werkinterne Methodenwechsel jedoch offenbar faktisch nachverfolgen: „Ma-
terials that had already been collected“, d.h. sozusagen ,servierfertige‘ Vorlagen, wären
demnach vor allen Dingen für die Bücher I-XIV genutzt worden, während Malalas
für die jüngere Zeit vermehrt eigenständige Anstrengungen zur Materialsammlung
angestellt hätte.7 Wenn, dieser Interpretation entsprechend, das Proömium als metho-
dische Präambel der Schrift ernst zu nehmen ist, so liegt der Schluss nicht fern, dass
man auch den Hinweis auf,Gehörtes4 ganz konkret als Verweis auf die Verarbeitung
mündlicher Informationen zu verstehen hat.
An welchen Stellen im Einzelnen Malalas tatsächlich mündliche Informationen
herangezogen haben könnte, ist mangels dezidierter Hinweise im erhaltenen Text der
Chronographia allerdings eine offene Frage. Sie hat bisher auch nur vergleichsweise
geringe Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dabei überrascht wenig, dass die auf den
Abgleich bzw. die Rekonstruktion von Texten konzentrierte Quellenforschung des
ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts diesen Aspekt aus ihren Untersu-
chungen zu Malalas ausgeblendet hat.8 Erst in einigen jüngeren, größtenteils im Kon-
text der seit den 1980er Jahren intensivierten australischen Forschungen zu Malalas
entstandenen Arbeiten wurden neben den schriftlichen nun auch stärker die mögli-
chen mündlichen Quellen adressiert.9 Dabei hat man sich insbesondere jenen Stellen
innerhalb des Werkes zugewandt, an denen sich Malalas eingehender über Details
informiert zeigt oder beispielsweise nichtöffentliche Gespräche nachzeichnet - mit
der naheliegenden Ausgangsidee, dass er hier gewissermaßen auf Jnsiderinformati-
5 ,Referenzen sind innerhalb der Chronographia twix nicht eben selten; sie fallen jedoch größtenteils in
die Bücher I-XIV und verweisen dort auf schriftliche Autoritäten. Zum Vorkommen entsprechender
Verweise vgl. Jeffreys (1990), S. 168-169; zur Funktion als autoritativer Querverweis - und nicht als
,Quellenangabe' im Wortsinne - jetzt Gengier (2016), insb. S. 83; vgl. außerdem die Einleitung zu die-
sem Band.
6 Dazu Luraghi (2006).
7 Vgf Jeffreys (1990), S. 169, 209; siehe zur Frage der Arbeitstechnik des Malalas auch den Beitrag von
Roger Scott in diesem Band.
8 Die älteren monographischen Arbeiten zu den Quellen des Malalas von Bourier (1899), Bourier (1900)
und Schenk Graf von Stauffenberg (1931) konzentrieren sich bezeichnenderweise auf die Bücher I-
XIV bzw. IX-XII, für die jeweils eine begrenzte Anzahl von ,Hauptquellen' vorgeschlagen wird. Den
Ausschluss der letzten vier Bücher (ab Zenos Regierungszeit) aus der eigenen Analyse begründet Bou-
rier (1899), S. 8 Anm. 1 explizit mit einem im Proömium erklärten Wechsel in der Art der Quellenbe-
handlung.
9 Zusammenfassend Jeffreys (1990), S. 209-211; vgl. außerdem Scott (1981), S. 23; Scott (1985), S. 102-103;
Croke (1990), S. 8; Jeffreys (2003), S. 519; Greatrex (2016), S. 175-176.
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- und natürlich nicht nur dieser - doch insoweit ganz maßgeblich von Herodot, als
dass explizite Einzelverweise auf mündliche Informanten hier ganz fehlen.5 Während
beim berühmten pater historiae ein Netz von Verweisen auf Personen und Personen-
gruppen den Eindruck einer lebhaften mündlichen Tradition vermittelt und das Werk
gezielt strukturiert,6 treten bei Malalas mögliche mündliche Informanten alles an-
dere als offen zutage. Angesichts der starken Abnahme von Referenzen in den letzten
vier Büchern von Malalas’ Chronographia - und damit ab der Regierungszeit des im
Proömium explizit erwähnten Zenon - lässt sich der zum Auftakt des Werkes ange-
deutete werkinterne Methodenwechsel jedoch offenbar faktisch nachverfolgen: „Ma-
terials that had already been collected“, d.h. sozusagen ,servierfertige‘ Vorlagen, wären
demnach vor allen Dingen für die Bücher I-XIV genutzt worden, während Malalas
für die jüngere Zeit vermehrt eigenständige Anstrengungen zur Materialsammlung
angestellt hätte.7 Wenn, dieser Interpretation entsprechend, das Proömium als metho-
dische Präambel der Schrift ernst zu nehmen ist, so liegt der Schluss nicht fern, dass
man auch den Hinweis auf,Gehörtes4 ganz konkret als Verweis auf die Verarbeitung
mündlicher Informationen zu verstehen hat.
An welchen Stellen im Einzelnen Malalas tatsächlich mündliche Informationen
herangezogen haben könnte, ist mangels dezidierter Hinweise im erhaltenen Text der
Chronographia allerdings eine offene Frage. Sie hat bisher auch nur vergleichsweise
geringe Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dabei überrascht wenig, dass die auf den
Abgleich bzw. die Rekonstruktion von Texten konzentrierte Quellenforschung des
ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts diesen Aspekt aus ihren Untersu-
chungen zu Malalas ausgeblendet hat.8 Erst in einigen jüngeren, größtenteils im Kon-
text der seit den 1980er Jahren intensivierten australischen Forschungen zu Malalas
entstandenen Arbeiten wurden neben den schriftlichen nun auch stärker die mögli-
chen mündlichen Quellen adressiert.9 Dabei hat man sich insbesondere jenen Stellen
innerhalb des Werkes zugewandt, an denen sich Malalas eingehender über Details
informiert zeigt oder beispielsweise nichtöffentliche Gespräche nachzeichnet - mit
der naheliegenden Ausgangsidee, dass er hier gewissermaßen auf Jnsiderinformati-
5 ,Referenzen sind innerhalb der Chronographia twix nicht eben selten; sie fallen jedoch größtenteils in
die Bücher I-XIV und verweisen dort auf schriftliche Autoritäten. Zum Vorkommen entsprechender
Verweise vgl. Jeffreys (1990), S. 168-169; zur Funktion als autoritativer Querverweis - und nicht als
,Quellenangabe' im Wortsinne - jetzt Gengier (2016), insb. S. 83; vgl. außerdem die Einleitung zu die-
sem Band.
6 Dazu Luraghi (2006).
7 Vgf Jeffreys (1990), S. 169, 209; siehe zur Frage der Arbeitstechnik des Malalas auch den Beitrag von
Roger Scott in diesem Band.
8 Die älteren monographischen Arbeiten zu den Quellen des Malalas von Bourier (1899), Bourier (1900)
und Schenk Graf von Stauffenberg (1931) konzentrieren sich bezeichnenderweise auf die Bücher I-
XIV bzw. IX-XII, für die jeweils eine begrenzte Anzahl von ,Hauptquellen' vorgeschlagen wird. Den
Ausschluss der letzten vier Bücher (ab Zenos Regierungszeit) aus der eigenen Analyse begründet Bou-
rier (1899), S. 8 Anm. 1 explizit mit einem im Proömium erklärten Wechsel in der Art der Quellenbe-
handlung.
9 Zusammenfassend Jeffreys (1990), S. 209-211; vgl. außerdem Scott (1981), S. 23; Scott (1985), S. 102-103;
Croke (1990), S. 8; Jeffreys (2003), S. 519; Greatrex (2016), S. 175-176.