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Jonas Borsch, Christine Radtki-Jansen
Chronographia ab, dass mehrfach die Vermutung geäußert wurde, sie müsse einer nar-
rativen Quelle mündlichen Ursprungs entstammen.62 Im Folgenden soll der Versuch
unternommen werden, dieser Frage durch eine nähere Betrachtung und Einordnung
der Passage nachzugehen.
Im Jahr 52s63 war ein Mann mit dem Namen Eulalios, laut Malalas ein comes dome-
sticorum, aus großem Reichtum durch einen Brand in seinem Wohnsitz in eine ernste
Notsituation geraten. Als er, durch dieses Unglück hoch verschuldet, an sein Lebens-
ende kam, wandte er sich in einem Testament an den Kaiser Justinian und vertraute
ihm seine drei Töchter mit den Worten an:
,τόν εύσεβέστατον Ιουστινιανόν παρασχεΐν ταΐς έμαΐς θυγατράσιν
ήμερησίας άνά φόλεις ιε'. καί γινόμενης αυτών τελείας ήλικίας
καί έρχομένας επί γάμον λαμβάνειν προίκα έκάστην δέκα χρυσίου
λίτρων, άποπληρωθήναι δε καί τούς έμούς δανειστάς παρά τού εμού
κληρονόμου'.
„Der sehr fromme Justinian soll meinen Töchtern einen täglichen Unterhalt von
jeweils 15 folles gewähren. Und wenn sie ins heiratsfähige Alter kommen und eine
Ehe eingehen, so soll eine jede 10 Litren Goldes als Mitgift bekommen. Es sollen
aber auch die Ansprüche der Gläubiger von meinem Erbe abgegolten werden“.64
Als der Wille des Eulalios dem Kaiser gemeldet worden war, akzeptierte dieser die
Bitte und übernahm dessen ganzes Erbe samt den Schulden, obwohl er von seinen
Beratern, namentlich dem curator Makedonios, davor gewarnt worden war. Er stattete
die Töchter mit finanziellen Mitteln aus und vertraute sie der Obhut der Kaiserin
Theodora an, in der sie fortan ein sorgenfreies Leben führen konnten.
Diese Passage hat so manchen Leser zum Nachdenken gebracht, wobei gerade
die Frage ihrer Herkunft ins Zentrum der Überlegungen gerückt 1st.65 Ein Grund für
die Verwunderung der Leser ist vielleicht in der Botschaft der Geschichte zu sehen:
Hervorgehoben wird die besondere Mildtätigkeit Justinians, der sich über alle Maßen
barmherzig zeigt und dabei über das hinausgeht, was Malalas üblicherweise beschreibt.
Justinian löst den Schuldner Eulalios aus eigener Kasse aus seinen Schulden aus,66 stat-
62 Scott (1985), S. 102-103; Jeffreys (1990), S. 211.
63 Einige spätere byzantinische Autoren verschieben das Ereignis in die Regierungszeit des 527 verstorbe-
nen Justin: Leo Grammaticus, Chronographia S. 125, 1-7 Bekker; Georgius Cedrenus, Historiarum
Compendium 397.2 Tartaglia; Synaxaria selecta Nov. 16 (S. 229,36-44 Delehaye). In RKOR Nr. 498 (S. 151)
wird vermutet, dass die Geschichte in die gemeinsame Regierungszeit beider Herrscher fallen könnte.
Das freie chronologische Verschieben von Ereignissen ist in der byzantinischen chronographischen
Tradition allerdings kein ungewöhnliches Phänomen. Eine historische Synchronisation der wider-
sprüchlichen Angaben ist insofern vielleicht nicht unbedingt nötig. Für die Betrachtung der
Interpretation des Malalas muss an dieser Stelle eine Fokussierung allein auf dessen Bericht - und
damit auch auf die Person des Justinian - genügen.
64 Malalas, Chronographia XVIII 23 (S. 367,13-17 Thurn); deutsche Übersetzung von Thurn/Meier (2009),
S. 455·
65 Scott (1985), S. 102-103; Jeffreys (1990), S. 211.
66 Malalas, Chronographia XVIII 23 (S. 367, 24-29 Thurn): καί δη τού κουράτωρος άντειπόντος τω
αύτω βασιλεΐ μή αύταρκεΐν τά των ληγάτων προς τά της διαθήκης έπέτρεψεν ό αύτός
Jonas Borsch, Christine Radtki-Jansen
Chronographia ab, dass mehrfach die Vermutung geäußert wurde, sie müsse einer nar-
rativen Quelle mündlichen Ursprungs entstammen.62 Im Folgenden soll der Versuch
unternommen werden, dieser Frage durch eine nähere Betrachtung und Einordnung
der Passage nachzugehen.
Im Jahr 52s63 war ein Mann mit dem Namen Eulalios, laut Malalas ein comes dome-
sticorum, aus großem Reichtum durch einen Brand in seinem Wohnsitz in eine ernste
Notsituation geraten. Als er, durch dieses Unglück hoch verschuldet, an sein Lebens-
ende kam, wandte er sich in einem Testament an den Kaiser Justinian und vertraute
ihm seine drei Töchter mit den Worten an:
,τόν εύσεβέστατον Ιουστινιανόν παρασχεΐν ταΐς έμαΐς θυγατράσιν
ήμερησίας άνά φόλεις ιε'. καί γινόμενης αυτών τελείας ήλικίας
καί έρχομένας επί γάμον λαμβάνειν προίκα έκάστην δέκα χρυσίου
λίτρων, άποπληρωθήναι δε καί τούς έμούς δανειστάς παρά τού εμού
κληρονόμου'.
„Der sehr fromme Justinian soll meinen Töchtern einen täglichen Unterhalt von
jeweils 15 folles gewähren. Und wenn sie ins heiratsfähige Alter kommen und eine
Ehe eingehen, so soll eine jede 10 Litren Goldes als Mitgift bekommen. Es sollen
aber auch die Ansprüche der Gläubiger von meinem Erbe abgegolten werden“.64
Als der Wille des Eulalios dem Kaiser gemeldet worden war, akzeptierte dieser die
Bitte und übernahm dessen ganzes Erbe samt den Schulden, obwohl er von seinen
Beratern, namentlich dem curator Makedonios, davor gewarnt worden war. Er stattete
die Töchter mit finanziellen Mitteln aus und vertraute sie der Obhut der Kaiserin
Theodora an, in der sie fortan ein sorgenfreies Leben führen konnten.
Diese Passage hat so manchen Leser zum Nachdenken gebracht, wobei gerade
die Frage ihrer Herkunft ins Zentrum der Überlegungen gerückt 1st.65 Ein Grund für
die Verwunderung der Leser ist vielleicht in der Botschaft der Geschichte zu sehen:
Hervorgehoben wird die besondere Mildtätigkeit Justinians, der sich über alle Maßen
barmherzig zeigt und dabei über das hinausgeht, was Malalas üblicherweise beschreibt.
Justinian löst den Schuldner Eulalios aus eigener Kasse aus seinen Schulden aus,66 stat-
62 Scott (1985), S. 102-103; Jeffreys (1990), S. 211.
63 Einige spätere byzantinische Autoren verschieben das Ereignis in die Regierungszeit des 527 verstorbe-
nen Justin: Leo Grammaticus, Chronographia S. 125, 1-7 Bekker; Georgius Cedrenus, Historiarum
Compendium 397.2 Tartaglia; Synaxaria selecta Nov. 16 (S. 229,36-44 Delehaye). In RKOR Nr. 498 (S. 151)
wird vermutet, dass die Geschichte in die gemeinsame Regierungszeit beider Herrscher fallen könnte.
Das freie chronologische Verschieben von Ereignissen ist in der byzantinischen chronographischen
Tradition allerdings kein ungewöhnliches Phänomen. Eine historische Synchronisation der wider-
sprüchlichen Angaben ist insofern vielleicht nicht unbedingt nötig. Für die Betrachtung der
Interpretation des Malalas muss an dieser Stelle eine Fokussierung allein auf dessen Bericht - und
damit auch auf die Person des Justinian - genügen.
64 Malalas, Chronographia XVIII 23 (S. 367,13-17 Thurn); deutsche Übersetzung von Thurn/Meier (2009),
S. 455·
65 Scott (1985), S. 102-103; Jeffreys (1990), S. 211.
66 Malalas, Chronographia XVIII 23 (S. 367, 24-29 Thurn): καί δη τού κουράτωρος άντειπόντος τω
αύτω βασιλεΐ μή αύταρκεΐν τά των ληγάτων προς τά της διαθήκης έπέτρεψεν ό αύτός