Theosophische Weissagungen bei Malalas
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Neben der Verurteilung stand die Vereinnahmung (vielleicht war diese Haltung mit
zunehmender Dominanz des Christentums leichter zu vertreten): Laktanz und Kyrill
deuteten die Orakelsprüche, die die Heiden anführten, christlich um, so dass sie von
Christus und der Trinität sprachen.11 Clemens von Alexandria zufolge gab Gott den
Griechen die Philosophie, um sie auf Christus vorzubereiten. Im Zuge dieser inter-
pretatio Christiana traten zu authentischen Orakelsprüchen bald sogar Fabrikationen.
Auch im späten 5. Jahrhundert blieb diese Debatte aktuell. Im Corpus Areopagiti-
cum heißt es: Gott habe Engel zu allen Völkern geschickt, aber nur die Juden hätten
auf sie gehört.12 Der Autor jener spätantiken Theosophie, die für uns in der sog. Tübin-
ger Theosophie greifbar ist, möchte seinerseits durch sein Werk zeigen:
τούς τε χρησμούς των Ελληνικών θεών καί τάς Λεγομένας θεολογίας
των παρ' Έλλησι καί Αίγυπτίοις σοφών, έτι δε καί τών Σιβυλλών
εκείνων <τούς χρησμούς> τώ σκοπώ τής θείας γραφής συνάδοντας
καί ποτέ μεν τό πάντων αίτιον καί πρωτοστατούν, ποτέ δέ τήν έν μια
θεότητι παναγίαν τριάδα δηλούντας
dass die Orakelsprüche der Götter der Hellenen und die sogenannten Theologien
von den bei den Hellenen und den Ägyptern beheimateten Weisen, noch dazu
auch <die Orakelsprüche> eben jener Sibyllen mit der Intention der göttlichen
Schrift übereinstimmen und bald die Ursache von allem und das Erstrangige, bald
die allheilige Trinität in einer einzigen Gottheit offenbaren.13
Auf dieser Grundlage konnten heidnische Orakel und Prophetien wieder Teil der
eigenen Geschichte werden, was sich gut an Malalas’ Chronik ablesen lässt, die da-
rin kaum Vorbilder hat.14 Wie wirkmächtig dieses Narrativ werden sollte, illustriert
die orthodoxe Buch- und Kirchenmalerei, in der heidnische Weise als Verkünder
ihren festen Platz haben.15 So zeigt das nachbyzantinische Fresko aus dem Kloster
der Transfiguration, das auch als Großes Meteorakloster bekannt ist, zweimal fünf
Weise, darunter Platon und die Sibylle, die Schriftrollen mit Pseudo-Orakelsprüchen
in den Händen halten; Paulus und Justin stehen mit Heiligenschein voran; darüber
schweben biblische Propheten, die mit den ihnen zugeschriebenen Worten zitiert
werden.16
11 Freund (2006).
12 Pseudo-Dionysius Areopagita, De Coelesti Hierarchia 9,3 Heil/Ritter.
13 Theosophin Tubingensis § 1 Erbse. Hier und im Folgenden zitiert und benutzt ist die Übersetzung der
Tübinger Theosophie, die gerade von einem Tübinger Forschungsprojekt unter der Leitung von Irmgard
Männlein-Robert erarbeitet wird.
14 Ein ähnliches Programm hatte im 5. Jahrhundert bereits Philippos von Side entworfen, der aber kaum
Nachahmer fand; vgl. Heyden (2009), S. 175-191. Bei den wirkmächtigen christlichen Chronisten Julius
Africanus und Eusebios findet sich hingegen nichts Vergleichbares.
15 Grundlegend bleiben von Premerstein (1926) und von Premerstein (1932); zur bulgarischen Wandmalerei
siehe Dujcev (1976). Natürlich gab es auch gegenläufige Strömungen, wie das Verbot theosophischer
Schriften auf Konzilen zeigt.
16 Das Fresko befindet sich im Narthex der neuen Kirche der Μονή Μεταμορφώσεως ή Μεγάλου
Μετεώρου. Hier abgebildet ist die Bildhälfte links des Portals, die von links nach rechts Sibylle,
Solon, Pythagoras, Sokrates, Apollonios und Paulus zeigt. Die Bildhälfte rechts des Portals ist ähnlich
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Neben der Verurteilung stand die Vereinnahmung (vielleicht war diese Haltung mit
zunehmender Dominanz des Christentums leichter zu vertreten): Laktanz und Kyrill
deuteten die Orakelsprüche, die die Heiden anführten, christlich um, so dass sie von
Christus und der Trinität sprachen.11 Clemens von Alexandria zufolge gab Gott den
Griechen die Philosophie, um sie auf Christus vorzubereiten. Im Zuge dieser inter-
pretatio Christiana traten zu authentischen Orakelsprüchen bald sogar Fabrikationen.
Auch im späten 5. Jahrhundert blieb diese Debatte aktuell. Im Corpus Areopagiti-
cum heißt es: Gott habe Engel zu allen Völkern geschickt, aber nur die Juden hätten
auf sie gehört.12 Der Autor jener spätantiken Theosophie, die für uns in der sog. Tübin-
ger Theosophie greifbar ist, möchte seinerseits durch sein Werk zeigen:
τούς τε χρησμούς των Ελληνικών θεών καί τάς Λεγομένας θεολογίας
των παρ' Έλλησι καί Αίγυπτίοις σοφών, έτι δε καί τών Σιβυλλών
εκείνων <τούς χρησμούς> τώ σκοπώ τής θείας γραφής συνάδοντας
καί ποτέ μεν τό πάντων αίτιον καί πρωτοστατούν, ποτέ δέ τήν έν μια
θεότητι παναγίαν τριάδα δηλούντας
dass die Orakelsprüche der Götter der Hellenen und die sogenannten Theologien
von den bei den Hellenen und den Ägyptern beheimateten Weisen, noch dazu
auch <die Orakelsprüche> eben jener Sibyllen mit der Intention der göttlichen
Schrift übereinstimmen und bald die Ursache von allem und das Erstrangige, bald
die allheilige Trinität in einer einzigen Gottheit offenbaren.13
Auf dieser Grundlage konnten heidnische Orakel und Prophetien wieder Teil der
eigenen Geschichte werden, was sich gut an Malalas’ Chronik ablesen lässt, die da-
rin kaum Vorbilder hat.14 Wie wirkmächtig dieses Narrativ werden sollte, illustriert
die orthodoxe Buch- und Kirchenmalerei, in der heidnische Weise als Verkünder
ihren festen Platz haben.15 So zeigt das nachbyzantinische Fresko aus dem Kloster
der Transfiguration, das auch als Großes Meteorakloster bekannt ist, zweimal fünf
Weise, darunter Platon und die Sibylle, die Schriftrollen mit Pseudo-Orakelsprüchen
in den Händen halten; Paulus und Justin stehen mit Heiligenschein voran; darüber
schweben biblische Propheten, die mit den ihnen zugeschriebenen Worten zitiert
werden.16
11 Freund (2006).
12 Pseudo-Dionysius Areopagita, De Coelesti Hierarchia 9,3 Heil/Ritter.
13 Theosophin Tubingensis § 1 Erbse. Hier und im Folgenden zitiert und benutzt ist die Übersetzung der
Tübinger Theosophie, die gerade von einem Tübinger Forschungsprojekt unter der Leitung von Irmgard
Männlein-Robert erarbeitet wird.
14 Ein ähnliches Programm hatte im 5. Jahrhundert bereits Philippos von Side entworfen, der aber kaum
Nachahmer fand; vgl. Heyden (2009), S. 175-191. Bei den wirkmächtigen christlichen Chronisten Julius
Africanus und Eusebios findet sich hingegen nichts Vergleichbares.
15 Grundlegend bleiben von Premerstein (1926) und von Premerstein (1932); zur bulgarischen Wandmalerei
siehe Dujcev (1976). Natürlich gab es auch gegenläufige Strömungen, wie das Verbot theosophischer
Schriften auf Konzilen zeigt.
16 Das Fresko befindet sich im Narthex der neuen Kirche der Μονή Μεταμορφώσεως ή Μεγάλου
Μετεώρου. Hier abgebildet ist die Bildhälfte links des Portals, die von links nach rechts Sibylle,
Solon, Pythagoras, Sokrates, Apollonios und Paulus zeigt. Die Bildhälfte rechts des Portals ist ähnlich