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Jonas Borsch, Olivier Gengler
klassizistischen Geschichtswerken des 6. Jahrhunderts wie dem des Prokop abset-
zende, aber gleichzeitig in vielerlei Hinsicht zeittypische Form der Auseinanderset-
zung mit der Vergangenheit abbildet: Zutiefst christlich geprägt, dabei alt- und neu-
testamentliche Einflüsse mit Elementen aus der griechischen Mythologie, der Kai-
sergeschichte oder lokalhistorischen Partikularia aus Malalas’ Heimatstadt Antiochia
am Orontes verbindend. Schon im vorangegangenen Band zu Malalas’ Quellen hat
das Vorhandensein solcher Elemente eine wichtige Rolle gespielt, wobei naturgemäß
die Fragen der Herkunft und damit einhergehend des Textverhältnisses zwischen der
Weltchronik und früheren Schriften im Vordergrund standen. Im hiesigen Band geht
es nicht zuvorderst um die Genese der Weltchronik, sondern vielmehr um die Frage,
wie wir sie als Text zu verstehen haben: Welches Bild der (älteren wie jüngeren) Ver-
gangenheit transportiert sie und welchen Kriterien folgt der Auswahlprozess, der die-
sem Bild zugrunde liegt?
Malalas beantwortet uns diese Fragen nicht explizit, und so kann man sich ihnen
nur über einen Umweg nähern, der sich aber als produktiv erweist: Gefragt wird nicht
alleine nach der Vergangenheitskonzeption des Malalas selbst, sondern darüber hin-
aus auch nach dem breiteren Kontext der Erinnerungspraxis - der Memorialkultur -,
wie sie in anderen Spätantiken bzw. frühmittelalterlichen literarischen Schriften, in
der zeitgenössischen Gesetzgebung oder in den materiellen Hinterlassenschaften des
5./6. Jahrhunderts zutage tritt. Von hier aus wird mit der vierten Tagung (Februar
2018) der Bogen zu der Frage geschlagen werden, wie man den Chronisten Malalas als
Zeithistoriker zu verstehen hat. Abermals war und ist es dabei von Bedeutung, Exper-
tisen hinzuzuziehen, die diese Kontextualisierung empirisch aus Sicht benachbarter
Disziplinen zu unterfüttern vermögen.
2. Memoria·. Begriffliche Beobachtungen
Dem Begriff der memoria kann man sich aus vielen Perspektiven annähern. Das gilt
schon für das antike Verständnis des Wortes. In seiner der römisch-republikanischen
Zeit gewidmeten Studie „memoria und res publica hat Uwe Walter auf Basis des latei-
nischen Quellenbefundes nicht weniger als neun Signifikate unterschieden. So kann
der Begriff sich auf das „Gedächtnis“ als mentalen Speicher beziehen, auf den Akt
des Erinnerns als Handlung sowie auf die „Vergeschichtlichung“ von Gewesenem
als Prozess - um nur einige zentrale der Funktionen beim Namen zu nennen. Diese
Konnotationen machen den Begriff über eine bloße antikisierende Sprachregelung
hinaus anschlussfähig, da sich mit ihm auch einige wichtige moderne Fragestellungen
bzw. Erkenntnisinteressen greifen lassen.4
Das Themenfeld der Erinnerung hat aus soziologisch-historischer Perspektive ins-
besondere mit Blick auf seine gesellschaftliche Funktion früh das Interesse auf sich
gezogen; dafür stehen sinnbildlich Maurice Halbwachs und seine in den 1920er Jahren
4 Walter (2004), S. 27-28 mit zahlreichen Belegen für die antike Begriffsverwendung.
Jonas Borsch, Olivier Gengler
klassizistischen Geschichtswerken des 6. Jahrhunderts wie dem des Prokop abset-
zende, aber gleichzeitig in vielerlei Hinsicht zeittypische Form der Auseinanderset-
zung mit der Vergangenheit abbildet: Zutiefst christlich geprägt, dabei alt- und neu-
testamentliche Einflüsse mit Elementen aus der griechischen Mythologie, der Kai-
sergeschichte oder lokalhistorischen Partikularia aus Malalas’ Heimatstadt Antiochia
am Orontes verbindend. Schon im vorangegangenen Band zu Malalas’ Quellen hat
das Vorhandensein solcher Elemente eine wichtige Rolle gespielt, wobei naturgemäß
die Fragen der Herkunft und damit einhergehend des Textverhältnisses zwischen der
Weltchronik und früheren Schriften im Vordergrund standen. Im hiesigen Band geht
es nicht zuvorderst um die Genese der Weltchronik, sondern vielmehr um die Frage,
wie wir sie als Text zu verstehen haben: Welches Bild der (älteren wie jüngeren) Ver-
gangenheit transportiert sie und welchen Kriterien folgt der Auswahlprozess, der die-
sem Bild zugrunde liegt?
Malalas beantwortet uns diese Fragen nicht explizit, und so kann man sich ihnen
nur über einen Umweg nähern, der sich aber als produktiv erweist: Gefragt wird nicht
alleine nach der Vergangenheitskonzeption des Malalas selbst, sondern darüber hin-
aus auch nach dem breiteren Kontext der Erinnerungspraxis - der Memorialkultur -,
wie sie in anderen Spätantiken bzw. frühmittelalterlichen literarischen Schriften, in
der zeitgenössischen Gesetzgebung oder in den materiellen Hinterlassenschaften des
5./6. Jahrhunderts zutage tritt. Von hier aus wird mit der vierten Tagung (Februar
2018) der Bogen zu der Frage geschlagen werden, wie man den Chronisten Malalas als
Zeithistoriker zu verstehen hat. Abermals war und ist es dabei von Bedeutung, Exper-
tisen hinzuzuziehen, die diese Kontextualisierung empirisch aus Sicht benachbarter
Disziplinen zu unterfüttern vermögen.
2. Memoria·. Begriffliche Beobachtungen
Dem Begriff der memoria kann man sich aus vielen Perspektiven annähern. Das gilt
schon für das antike Verständnis des Wortes. In seiner der römisch-republikanischen
Zeit gewidmeten Studie „memoria und res publica hat Uwe Walter auf Basis des latei-
nischen Quellenbefundes nicht weniger als neun Signifikate unterschieden. So kann
der Begriff sich auf das „Gedächtnis“ als mentalen Speicher beziehen, auf den Akt
des Erinnerns als Handlung sowie auf die „Vergeschichtlichung“ von Gewesenem
als Prozess - um nur einige zentrale der Funktionen beim Namen zu nennen. Diese
Konnotationen machen den Begriff über eine bloße antikisierende Sprachregelung
hinaus anschlussfähig, da sich mit ihm auch einige wichtige moderne Fragestellungen
bzw. Erkenntnisinteressen greifen lassen.4
Das Themenfeld der Erinnerung hat aus soziologisch-historischer Perspektive ins-
besondere mit Blick auf seine gesellschaftliche Funktion früh das Interesse auf sich
gezogen; dafür stehen sinnbildlich Maurice Halbwachs und seine in den 1920er Jahren
4 Walter (2004), S. 27-28 mit zahlreichen Belegen für die antike Begriffsverwendung.