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Jonas Borsch
3. Die Quellenfrage
Angesichts ihrer Vielzahl und ihres auffälligen Charakters haben die Porträts bei Ma-
lalas in der Forschung schon früh einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nament-
lich hat sich insbesondere die deutschsprachige „Quellenforschung“ mit dem Thema
auseinandergesetzt. Sie hat naturgemäß die Frage nach der Herkunft der Darstellun-
gen mit der größten Aufmerksamkeit bedacht. Die Einschätzungen schwanken dabei
(passend zu dem geringen schriftstellerischen Stellenwert, den man der Chronographia
insbesondere in der frühen Forschung zugeschrieben hat) meist zwischen zwei Ex-
tremen, nämlich dem der direkten Übernahme aus einer oder mehreren Vorlagen und
dem der freien Erfindung durch den Autor.
Die Vertreter der ersten Annahme haben insbesondere die Möglichkeit diskutiert,
dass die Porträts ihren Ursprung in der von Malalas für seine Troja-Abschnitte di-
rekt oder indirekt benutzten und wohl im 1. oder 2. Jahrhundert n.Chr. entstandenen
so genannten Ephemeris des Diktys von Kreta haben.16 Zuerst vorgebracht hat diese
Ansicht Josef Fürst in einer 1901/1902 erschienenen Abhandlung zu Diktys.17 Er re-
konstruiert eine Jahrhunderte zurückreichende griechische Tradition des schriftlichen
Porträtierens, die er bei den historischen Biographien des 4. Jahrhunderts beginnen
lässt und bis in die Spätantike weiterverfolgt. Neben einer Vielzahl von literarischen
Quellen führt er dabei als Beispiel auch eine Reihe von technisch-formal gestalteten
Personenbeschreibungen in griechischsprachigen Papyri aus Ägypten (3. Jh. v.Chr. -
3. Jh. n.Chr. ) an, die dort ganz funktional der Identifikation von Individuen dienen.18
Der Vergleich mit diesen Papyri ist später verschiedentlich aufgegriffen worden; al-
lerdings wurde auch zu Recht auf die Unterschiede zu Malalas nicht nur in Fragen
des Kontextes bzw. Genres, sondern insbesondere mit Blick auf das Vokabular hin-
gewiesen.19 Unmittelbar bedient habe sich Malalas für seine Beschreibungen nach
Fürst aber an der (nur fragmentarisch erhaltenen) griechischen Originalfassung des
Diktys; daneben habe er noch weitere, ebenfalls der geschilderten Tradition nahe-
stehende Quellen genutzt, deren Inhalte er in ein eigenes (wiederum womöglich der
16 Die lateinische Version in der Edition von Eisenhut wird hier als Dictys, Ephemeris bezeichnet. Bei
dieser Textversion handelt es sich allerdings sicher nicht um eine direkte Vorlage des Malalas. Der
Chronograph dürfte sich - wenn überhaupt - wohl eher an einer früheren, griechischen Fassung dieser
Schrift bedient haben, deren Existenz erst ab 1908 durch insgesamt vier Papyrusfunde bestätigt wurde.
Zu der rezeptionsgeschichtlich bedeutenden, in der Forschung aber wenig beachteten Schrift Merkle
(1989) mit ergiebiger Bibliographie sowie zuletzt Gainsford (2012). Vgl. zur Datierung Merkle (1989),
S. 16; etwas früher Gainsford (2012), S. 59-60 mit terminus ante quem um die Mitte des 2. Jahrhunderts
(auf Basis von im Jahr 2009 neu entdeckten Papyrusfragmenten).
17 Fürst (1902). Vgl. Jeffreys (1990b), S. 176-177; vgl. Jeffreys/Jeffreys (1990), S. 242.
18 Fürst (1902), insbes. S. 377-397; vgl. Misener (1924), S. 99-102, die den Ursprung dieser Identifizierungs-
methode in der Registrierung von im Ausland dienenden griechischen oder makedonischen Söldnern
vermutet (und nicht wie Fürst in ägyptischen Traditionen).
19 Vgl. ähnlich bereits Rohde (1914), S. 160, Anm. 1 (Zitat: S. 162); siehe außerdem Jeffreys/Jeffreys (1990),
S. 241-242; contra Carrié (2006), S. 203-204.
Jonas Borsch
3. Die Quellenfrage
Angesichts ihrer Vielzahl und ihres auffälligen Charakters haben die Porträts bei Ma-
lalas in der Forschung schon früh einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nament-
lich hat sich insbesondere die deutschsprachige „Quellenforschung“ mit dem Thema
auseinandergesetzt. Sie hat naturgemäß die Frage nach der Herkunft der Darstellun-
gen mit der größten Aufmerksamkeit bedacht. Die Einschätzungen schwanken dabei
(passend zu dem geringen schriftstellerischen Stellenwert, den man der Chronographia
insbesondere in der frühen Forschung zugeschrieben hat) meist zwischen zwei Ex-
tremen, nämlich dem der direkten Übernahme aus einer oder mehreren Vorlagen und
dem der freien Erfindung durch den Autor.
Die Vertreter der ersten Annahme haben insbesondere die Möglichkeit diskutiert,
dass die Porträts ihren Ursprung in der von Malalas für seine Troja-Abschnitte di-
rekt oder indirekt benutzten und wohl im 1. oder 2. Jahrhundert n.Chr. entstandenen
so genannten Ephemeris des Diktys von Kreta haben.16 Zuerst vorgebracht hat diese
Ansicht Josef Fürst in einer 1901/1902 erschienenen Abhandlung zu Diktys.17 Er re-
konstruiert eine Jahrhunderte zurückreichende griechische Tradition des schriftlichen
Porträtierens, die er bei den historischen Biographien des 4. Jahrhunderts beginnen
lässt und bis in die Spätantike weiterverfolgt. Neben einer Vielzahl von literarischen
Quellen führt er dabei als Beispiel auch eine Reihe von technisch-formal gestalteten
Personenbeschreibungen in griechischsprachigen Papyri aus Ägypten (3. Jh. v.Chr. -
3. Jh. n.Chr. ) an, die dort ganz funktional der Identifikation von Individuen dienen.18
Der Vergleich mit diesen Papyri ist später verschiedentlich aufgegriffen worden; al-
lerdings wurde auch zu Recht auf die Unterschiede zu Malalas nicht nur in Fragen
des Kontextes bzw. Genres, sondern insbesondere mit Blick auf das Vokabular hin-
gewiesen.19 Unmittelbar bedient habe sich Malalas für seine Beschreibungen nach
Fürst aber an der (nur fragmentarisch erhaltenen) griechischen Originalfassung des
Diktys; daneben habe er noch weitere, ebenfalls der geschilderten Tradition nahe-
stehende Quellen genutzt, deren Inhalte er in ein eigenes (wiederum womöglich der
16 Die lateinische Version in der Edition von Eisenhut wird hier als Dictys, Ephemeris bezeichnet. Bei
dieser Textversion handelt es sich allerdings sicher nicht um eine direkte Vorlage des Malalas. Der
Chronograph dürfte sich - wenn überhaupt - wohl eher an einer früheren, griechischen Fassung dieser
Schrift bedient haben, deren Existenz erst ab 1908 durch insgesamt vier Papyrusfunde bestätigt wurde.
Zu der rezeptionsgeschichtlich bedeutenden, in der Forschung aber wenig beachteten Schrift Merkle
(1989) mit ergiebiger Bibliographie sowie zuletzt Gainsford (2012). Vgl. zur Datierung Merkle (1989),
S. 16; etwas früher Gainsford (2012), S. 59-60 mit terminus ante quem um die Mitte des 2. Jahrhunderts
(auf Basis von im Jahr 2009 neu entdeckten Papyrusfragmenten).
17 Fürst (1902). Vgl. Jeffreys (1990b), S. 176-177; vgl. Jeffreys/Jeffreys (1990), S. 242.
18 Fürst (1902), insbes. S. 377-397; vgl. Misener (1924), S. 99-102, die den Ursprung dieser Identifizierungs-
methode in der Registrierung von im Ausland dienenden griechischen oder makedonischen Söldnern
vermutet (und nicht wie Fürst in ägyptischen Traditionen).
19 Vgl. ähnlich bereits Rohde (1914), S. 160, Anm. 1 (Zitat: S. 162); siehe außerdem Jeffreys/Jeffreys (1990),
S. 241-242; contra Carrié (2006), S. 203-204.