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Internationale Tagung "Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur" <2016, Tübingen>; Borsch, Jonas [Hrsg.]; Gengler, Olivier [Hrsg.]; Meier, Mischa [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 3): Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2019

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II. Memoria und Kaisertum
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Borsch, Jonas: Schriftliche Bildnisse: Personalisierte Erinnerung in Malalas' Portäts
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https://doi.org/10.11588/diglit.61687#0062
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Schriftliche Bildnisse. Personalisierte Erinnerung in Malalas’ Porträts

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sehe Heroen und römische Kaiser vermögen, sondern durch Anmut bzw. Gnade und
Engelhaftigkeit, also durch Merkmale, die auf seine inneren Qualitäten, namentlich
seine Gottesfurcht, schließen lassen. Die bereits für Sokrates bekannte Idee eines Wi-
derspruches zwischen körperlicher Gestalt und geistigen Qualitäten erhält hier eine
dezidiert christliche Färbung. Wir dürfen an dieser Stelle wohl einen frühen Vorläufer
des zu Malalas’ Zeiten allgegenwärtigen Motives des charismatischen Heiligen ver-
muten.
Für die dritte Gruppe der Porträts bei Malalas, diejenige der Kaiser, gibt es eine
ganze Reihe von möglichen Vorbildern oder Vorläufern, die z.T. ebenfalls mit physio-
gnomischen Ansätzen in Verbindung gebracht worden sind. Für die griechische Tra-
dition möchte man hier zuerst an Plutarch denken, der in seine historischen Biogra-
phien tatsächlich immer wieder physische Merkmale eingebunden hat. Er zeigt sich
mit dem Gedanken, dass das Äußere des Menschen als Ausweis von dessen Seelen-
leben gelten kann, vertraut, weswegen ihm eine philosophische Orientierung an der
peripatetischen Schule nachgesagt worden ist.54 Plutarch verzichtet allerdings darauf,
die jeweilige Physis seiner Helden systematisch in seine Darstellungen einzuflech-
ten. Er bringt stattdessen einzelne Merkmale immer dort an, wo sie sich besonders
dazu eignen, bestimmte Charakterzüge hervorzuheben.55 Ausgearbeitete, dem oben
skizzierten Verständnis entsprechende „Porträts“ fehlen in seinen Biographien - und
gerade die zwei erhaltenen Kaiserviten, diejenigen des Otho und des Galba, enthalten
nur wenige Hinweise auf das Äußere ihrer Protagonisten.56
Anders sieht die Situation hingegen in der lateinischsprachigen Literatur aus, wo
die physische Beschreibung der Kaiser sich zu einem grundlegenden Bestandteil vie-
ler biographisch-historischer Schriften entwickelte.57 Das Paradebeispiel dafür bildet
zweifelsohne Sueton: Physische Darstellungen der Kaiser gehören in seinen Biogra-
phien zum Standardrepertoire: Sueton gibt für jeden einzelnen Kaiser von Augustus
bis Domitian eine mehr oder weniger ausführliche Beschreibung, die typischerweise
Angaben zur Größe und Statur, zu Gesicht, Haartracht und -färbe (oder gegebe-
nenfalls zum fehlenden Haarwuchs) enthält, zuweilen auch Aussagen zur Form von
Nasen und Ohren, zum Umfang des Bauches, zur allgemeinen Wirkung des Erschei-
nungsbildes, Gang, Angewohnheiten der Körperpflege, allgemeiner (auch geistiger)
Gesundheit, körperlichen Defekten, manchmal sogar zum Essverhalten oder zur

54 Vgl. Plutarchus, A/iwaWcrlß: ώσπερ ούν ο ί ζωγράφοι τάς ομοιότητας άπό τού προσώπου καί
τών περί την όψιν ειδών οίς έμφαίνεται τό ήθος άναΛαμβάνουσιν [...]. Dazu Misener (1924),
S. ιιο-ιιι. Die Passage ist allerdings Teil einer Gegenüberstellung: Diese Methode wird hier als dieje-
nige der Maler bezeichnet und der eigenen, auf die Seele ausgerichteten Vorgehensweise gegenüberge-
stellt.

55 Carrié (2006), S.197.

56 Vgl. zum nuancierten Einsatz physiognomischer Methoden bei Plutarch Rohrbacher (2010), S. 100.

57 Ein allgemeines Merkmal der römischen historiographischen Literatur bildet sie wohlgemerkt nicht.
Tacitus etwa sprengt physische Beschreibungen nur gelegentlich in seine Darstellung ein: Vgl. Tacitus,
Annales I 3,4, wo die Gestalt des Agrippa eher insinuiert als beschrieben wird; Tacitus, Annales IV 57
mit einer ebenso knappen wie konzisen und fantasiebeflügelnden Skizze zum alternden Tiberius. Vgl.
Velleius Paterculus, Historia Romana II 29.
 
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