Johannes Malalas, die Rezeption des Konzils
von Chalkedon und die christlichen milieux de
mémoire im 6. Jahrhundert1
Volker Menze
Abstract Johannes Malalas’doctrinal persuasion has been discussed in scholarship throughout
the last century: was he a Chalcedonian or a non-Chalcedonian? From the meager evidence
in his chronicle, it remains difficult to convincingly argue either way, although attempts have
been made. This paper will not investigate Malalas’ personal beliefs but instead look at how the
Council of Chalcedon was received within the first hundred years after its convocation. It ar-
gues that the council’s reception was not only controversial but also confused and contradictory
among Chalcedonians as well as non-Chalcedonians. Different Christian parties lived within
their milieux de mémoire and battled over what an „orthodox“ perception of the council was sup-
posed to look like. As no definite meaning of „Chalcedon“ was available, and therefore „ortho-
doxy“ was no more than a snapshot, the chronicler remained on the sidelines of the controversy.
I. Kirchenpolitik, das Konzil von Chalkedon und Johannes Malalas
Das 6. Jahrhundert war eine theologisch extrem produktive Zeit in den Nachfolge-
staaten des weströmischen Reiches wie auch im oströmischen Reich selbst. Theologen
in Ost wie West - in Nordafrika, Italien, Konstantinopel, Ägypten, Syrien wie auch
Palästina beteiligten sich rege an den brennenden christologischen Fragen ihrer Zeit.
Allerdings waren theologische Fragen in der christlichen Spätantike auch immer poli-
tische Fragen, die das Potential hatten, intellektuelle Debatten zu politisch disruptiven
Prozessen werden zu lassen.
Christologische Fragen dominierten die theologischen Streitigkeiten seit der theo-
tokos-Kontroverse im frühen 5. Jahrhundert bis in die Zeit der islamischen Eroberung
im 7. Jh.2 Eine Mehrheit der Bischöfe konnte sich zwar schnell darauf einigen, Maria
eine theotokos, eine „Gottesgebärerin“ (=Muttergottes), zu titulieren, aber die Frage
nach der menschlichen und göttlichen Natur Christi, die Fleischwerdung des Wor-
tes, erwies sich als höchst komplexes Problem. Das Konzil von Ephesos (431) bekräf-
i Der Beitrag lehnt sich thematisch an meinen Vortrag an, den ich auf der Tagung in Tübingen gehalten
habe; er ist aber konzeptionell - nicht zuletzt dank des regen Austausches auf der Tagung - neu fokus-
siert. Ich danke insbesondere den Organisatoren Jonas Borsch und Mischa Meier für die Einladung.
2 Lange (2012) bietet im ersten Kapitel (470 Seiten!) einen ausführlichen Überblick zur Entwicklung der
Kontroverse(n).
von Chalkedon und die christlichen milieux de
mémoire im 6. Jahrhundert1
Volker Menze
Abstract Johannes Malalas’doctrinal persuasion has been discussed in scholarship throughout
the last century: was he a Chalcedonian or a non-Chalcedonian? From the meager evidence
in his chronicle, it remains difficult to convincingly argue either way, although attempts have
been made. This paper will not investigate Malalas’ personal beliefs but instead look at how the
Council of Chalcedon was received within the first hundred years after its convocation. It ar-
gues that the council’s reception was not only controversial but also confused and contradictory
among Chalcedonians as well as non-Chalcedonians. Different Christian parties lived within
their milieux de mémoire and battled over what an „orthodox“ perception of the council was sup-
posed to look like. As no definite meaning of „Chalcedon“ was available, and therefore „ortho-
doxy“ was no more than a snapshot, the chronicler remained on the sidelines of the controversy.
I. Kirchenpolitik, das Konzil von Chalkedon und Johannes Malalas
Das 6. Jahrhundert war eine theologisch extrem produktive Zeit in den Nachfolge-
staaten des weströmischen Reiches wie auch im oströmischen Reich selbst. Theologen
in Ost wie West - in Nordafrika, Italien, Konstantinopel, Ägypten, Syrien wie auch
Palästina beteiligten sich rege an den brennenden christologischen Fragen ihrer Zeit.
Allerdings waren theologische Fragen in der christlichen Spätantike auch immer poli-
tische Fragen, die das Potential hatten, intellektuelle Debatten zu politisch disruptiven
Prozessen werden zu lassen.
Christologische Fragen dominierten die theologischen Streitigkeiten seit der theo-
tokos-Kontroverse im frühen 5. Jahrhundert bis in die Zeit der islamischen Eroberung
im 7. Jh.2 Eine Mehrheit der Bischöfe konnte sich zwar schnell darauf einigen, Maria
eine theotokos, eine „Gottesgebärerin“ (=Muttergottes), zu titulieren, aber die Frage
nach der menschlichen und göttlichen Natur Christi, die Fleischwerdung des Wor-
tes, erwies sich als höchst komplexes Problem. Das Konzil von Ephesos (431) bekräf-
i Der Beitrag lehnt sich thematisch an meinen Vortrag an, den ich auf der Tagung in Tübingen gehalten
habe; er ist aber konzeptionell - nicht zuletzt dank des regen Austausches auf der Tagung - neu fokus-
siert. Ich danke insbesondere den Organisatoren Jonas Borsch und Mischa Meier für die Einladung.
2 Lange (2012) bietet im ersten Kapitel (470 Seiten!) einen ausführlichen Überblick zur Entwicklung der
Kontroverse(n).