Klassisch-paganes Erbe: Was bleibt in der memoria der Weltchronik?
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so kann auch dies schlicht aus der Vorlage übernommen sein; der Wechsel des Aspektes
war für diesen Kompilator belanglos.
Memoria einer Weltchronik
Der individuelle Zugang und das Besondere einer jeden Weltchronik ist das selektive
Verfahren: Einerseits was noch erwähnenswert ist, andererseits was als bereits unwich-
tig ausgelassen wird oder nicht mehr im Fokus des zeitgenössischen Interesses steht.
Denn die Weltchroniken sind stets nach dem Konzept aufgebaut, nicht alle Infor-
mationen im Sinne moderner Gelehrsamkeit zu präsentieren, sondern nach einem
Auswahlverfahren, das ihren persönlichen Interessen entspricht. Selbst wenn Vorla-
gen tale quale abgeschrieben werden, wird bei aller Worttreue nicht ein Text in toto
übernommen, sondern nach relevanten Passagen kopiert. Hieraus lässt sich in Summe
der besondere Zugang einer Weltchronik herausarbeiten, nämlich in der Auswahl und
im Filter. In der Diachronie zeigt sich dann im Vergleich der einzelnen Weltchroni-
ken eine neue Wertigkeit von zunächst Epoche machenden Ereignissen zu kurzen
Eintragungen, bis auch diese eventuell wieder für obsolet und entbehrlich erachtet
wurden. In dieser Hinsicht war auch das sehr abfallende Urteil in den Literaturge-
schichten von Karl Krumbacher und Herbert Hunger nur einseitig vom Gesichts-
punkt des literarischen Anspruches gefällt14 - immerhin konnte eine kürzlich erfolgte
Neubeurteilung der Weltchroniken deren Wert und Besonderheit hervorstreichen.15
Unter dieser Prämisse passt sich auch ein Werk wie der Quellencento des Chronicon
Paschale mit seiner bemühten Neuberechnung der Jahresabfolge und ganz besonders
der Zentraldaten aus dem Leben Christi in die Fragestellung einer Memoria ein; denn
der Verfasser - bzw. ein (mehrere?) nachfolgende(r) Bearbeiter - haben Daten aus der
Weltgeschichte ausgewählt und der Erinnerung für würdig befunden.
Euhemeristische Tendenz
Das Christentum hatte sich nach einer Phase der heftigen Angriffe gegen das Hei-
dentum und sein Schrifttum einer nüchterneren Neubeurteilung der paganen Lite-
ratur gestellt. Dahinter standen jedoch keine humanistischen Überlegungen, sondern
die schlichte Anerkennung der realen Tatsachen: Das heidnische Schrifttum war so-
wohl im Schulunterricht als auch in der Bildungselite schlichtweg die Grundlage der
gehobenen Sprache und in der Unterhaltungs- sowie Fachliteratur unersetzbar. Die
αποστόλου χρήσεις άναλέξασθαι περί τούτου ... ist Teil eines längeren Exzerptes, das wort-
wörtlich auch bei Kosmas Indikopleustes, Topographia Christiana V 219, ed. Wolska-Conus, S. 329,
Z. 12-13, vorkommt.
14 Mariev (2015); Mariev (2016).
15 Im Rahmen der internationalen Konferenz „Chronicle as Literature at the Crossroad of Past and Pre-
sent“, München 29.-30. April 2016, organisiert von Ingela Nilsson und Sergei Mariev.
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so kann auch dies schlicht aus der Vorlage übernommen sein; der Wechsel des Aspektes
war für diesen Kompilator belanglos.
Memoria einer Weltchronik
Der individuelle Zugang und das Besondere einer jeden Weltchronik ist das selektive
Verfahren: Einerseits was noch erwähnenswert ist, andererseits was als bereits unwich-
tig ausgelassen wird oder nicht mehr im Fokus des zeitgenössischen Interesses steht.
Denn die Weltchroniken sind stets nach dem Konzept aufgebaut, nicht alle Infor-
mationen im Sinne moderner Gelehrsamkeit zu präsentieren, sondern nach einem
Auswahlverfahren, das ihren persönlichen Interessen entspricht. Selbst wenn Vorla-
gen tale quale abgeschrieben werden, wird bei aller Worttreue nicht ein Text in toto
übernommen, sondern nach relevanten Passagen kopiert. Hieraus lässt sich in Summe
der besondere Zugang einer Weltchronik herausarbeiten, nämlich in der Auswahl und
im Filter. In der Diachronie zeigt sich dann im Vergleich der einzelnen Weltchroni-
ken eine neue Wertigkeit von zunächst Epoche machenden Ereignissen zu kurzen
Eintragungen, bis auch diese eventuell wieder für obsolet und entbehrlich erachtet
wurden. In dieser Hinsicht war auch das sehr abfallende Urteil in den Literaturge-
schichten von Karl Krumbacher und Herbert Hunger nur einseitig vom Gesichts-
punkt des literarischen Anspruches gefällt14 - immerhin konnte eine kürzlich erfolgte
Neubeurteilung der Weltchroniken deren Wert und Besonderheit hervorstreichen.15
Unter dieser Prämisse passt sich auch ein Werk wie der Quellencento des Chronicon
Paschale mit seiner bemühten Neuberechnung der Jahresabfolge und ganz besonders
der Zentraldaten aus dem Leben Christi in die Fragestellung einer Memoria ein; denn
der Verfasser - bzw. ein (mehrere?) nachfolgende(r) Bearbeiter - haben Daten aus der
Weltgeschichte ausgewählt und der Erinnerung für würdig befunden.
Euhemeristische Tendenz
Das Christentum hatte sich nach einer Phase der heftigen Angriffe gegen das Hei-
dentum und sein Schrifttum einer nüchterneren Neubeurteilung der paganen Lite-
ratur gestellt. Dahinter standen jedoch keine humanistischen Überlegungen, sondern
die schlichte Anerkennung der realen Tatsachen: Das heidnische Schrifttum war so-
wohl im Schulunterricht als auch in der Bildungselite schlichtweg die Grundlage der
gehobenen Sprache und in der Unterhaltungs- sowie Fachliteratur unersetzbar. Die
αποστόλου χρήσεις άναλέξασθαι περί τούτου ... ist Teil eines längeren Exzerptes, das wort-
wörtlich auch bei Kosmas Indikopleustes, Topographia Christiana V 219, ed. Wolska-Conus, S. 329,
Z. 12-13, vorkommt.
14 Mariev (2015); Mariev (2016).
15 Im Rahmen der internationalen Konferenz „Chronicle as Literature at the Crossroad of Past and Pre-
sent“, München 29.-30. April 2016, organisiert von Ingela Nilsson und Sergei Mariev.