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Bandini, Ditte [Hrsg.]; Hinüber, Oskar von [Hrsg.]; Dickoré, Wolf Bernhard [Hrsg.]
Die Felsbildstationen Shing Nala und Gichi Nala — Materialien zur Archäologie der Nordgebiete Pakistans, Band 4: Mainz, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.37089#0031
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Shing Nala

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KRITERIEN ZUR DATIERUNG DER FELSBILDER UND INSCHRIFTEN44
Bei den Felsbildem im Oberen Industal sind keine naturwissenschaftlichen Datierungsmethoden angewendet wor-
den, die genaueren Aufschluß über das Alter der prähistorischen Petroglyphen45 geben könnten. Die mit einer sol-
chen Analyse verbundenen Schwierigkeiten sind erheblich, die Vorbedingungen teilweise nicht zu erfüllen.46 Da
der Erfolg der verschiedenen Datierungsmethoden für solche Felsbilder zudem teilweise umstritten ist, wäre eine
für die Probenbeschaffung meist notwendige Beschädigung von Felsbildem zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
zu rechtfertigen.47
Da die Felsbilder von Shing Nala auch in keiner historischen Quelle erwähnt werden, wodurch vielleicht ein
Datierungshinweis gegeben wäre, bilden die Inschriften die einzigen Anhaltspunkte für eine zeitliche Einordnung.
Die ältesten Inschriften am Oberen Indus sind in Kharosthi geschrieben. Diese aus dem aramäischen Alphabet
abgeleitete Schrift wurde seit Asoka im heutigen Nordwesten Pakistans und im Süden Afghanistans verwendet. Im
wesentlichen bediente man sich ihrer zum Schreiben der Gändhärl, der mittelindoarischen Sprache von Gandhära.
Weder in Shing Nala noch in Gichi Nala findet sich - im Gegensatz etwa zu Chilas II und Hunza - eine einzige
solche Inschrift.
Die Brährm-Schrift wurde seit dem 3. Jh. v. Chr. dazu benutzt, indische Sprachen mit Ausnahme der Gändhärl
wiederzugeben. Im Nordwesten des heutigen Pakistan hat sie im Laufe der Zeit die Kharosthi abgelöst und breitete
sich seit dem 2. Jh. n. Chr. mit dem Buddhismus auch in Transoxanien und dem Tarimbecken aus. Dabei bildeten
sich lokale Schriftvarianten aus. In Shing Nala dürften die meisten der etwa 60 Brähml-Inschriften zwischen 400
und 600 zu datieren sein.48 Bei einigen wenigen Inschriften ist nach paläographischen Gesichtspunkten auch ein
höheres Alter anzunehmen.
Anfang des 7. Jh. n. Chr.49 wurde die mehr ‘rundliche’ Brähml im Raume Gilgit durch die Proto-Säradä ersetzt, die
in Shing Nala nicht nachgewiesen ist. Damit ergibt sich ein Zeitpunkt ante quem eher um 500 als gegen Anfang
oder Ende der angenommenen Zeitspanne.
Bemerkenswert ist in diesem Felsbildkomplex das Fehlen aller anderen Schriften. Auch dieser Umstand könnte für
eine zeitlich eng begrenzte ‘Benutzung’ der Station sprechen.
Aufgrund der erwähnten Zeiträume, denen sich die einzelnen Schriftarten zuordnen lassen, kann versucht werden,
benachbarte Gravuren mit Hilfe des Patinavergleichs relativ zu datieren. Diese Vergleichsmöglichkeit beschränkt
sich jedoch ausschließlich auf einander eng benachbarte Zeichnungen, d.h. solche, die sich möglichst auf derselben
Fläche desselben Steines finden. So können beispielsweise aus derselben Zeit stammende Brähml-Inschriften je
nach Himmelsrichtung oder Neigungswinkel der Fläche, auf der sie angebracht wurden, unterschiedlich patiniert
sein. Diese Datierungsmethode ist, wie zu Hodar erörtert,50 mit Vorsicht und nur unter den genannten Einschrän-
kungen als zusätzliches Kriterium zu verwenden. Eine relative Datierung ermöglichen auch Überlagerungen von
Ritzungen. Aus ihnen lassen sich zudem Rückschlüsse auf Geschichte, Entwicklung und Bedeutung des Felsbild-
komplexes ziehen. In Shing Nala kommen Überlagerungen von Gravuren, anders als in Gichi Nala (s.u.), aller-
dings so gut wie überhaupt nicht vor.
44 Abgesehen von durch den jeweiligen Felsbildkomplex bedingten Änderungen sind die folgenden Bemerkungen für die Petro-
glyphen des Oberen Indus allgemeingültig und wurden daher teilweise aus MANP 2 übernommen (FUSSMAN/KÖNIG 1997: 4f.)
45 Für zahlreiche Gravuren aus späteren Epochen - Tierstil, achämenidisch, buddhistisch etc. - ist der zeitliche Ansatz durch
kunsthistorische Kriterien bzw. durch die Inschriften gegeben.
46 Beispielsweise müßte für eine OTL-Datierung (s.u. WAGNER) ein immer noch wenigstens zu einem großen Teil unter der Erde
liegendes prähistorisches Felsbild gefunden werden, das möglichst kurz, nachdem es angefertigt wurde, bis auf den heutigen
Tag von Sand so verschüttet wurde, daß kein Licht darauffiel. Es müßte dann im Dunkeln freigelegt und durch Materialentnah-
me beprobt, d.h. beschädigt werden.
47 Zu den Möglichkeiten der naturwissenschaftlichen Datierung WAGNER unten S. 128.
48 Weitere Informationen zu den Inschriften unten S. 51 f.
49 von Hinüber 1983: 61; Sander 1989: 1 lOf.; Fussman 1993: 17, 27.
50 Bandini-KÖNIG 1999: 119ff.
 
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