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Bandini, Ditte [Hrsg.]; Hinüber, Oskar von [Hrsg.]; Dickoré, Wolf Bernhard [Hrsg.]
Die Felsbildstationen Shing Nala und Gichi Nala — Materialien zur Archäologie der Nordgebiete Pakistans, Band 4: Mainz, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.37089#0132
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Gichi Nala

Zu den Auffälligkeiten des westlichen Teiles von Gichi Nala gehören weiterhin etwa 30 flächig gepickte Scheiben,
die auf zwei Steine verteilt sind, wobei weder klar ist, wie und wann sie entstanden, noch welchen Zweck sie er-
füllten. Etwa 20 von ihnen finden sich auf der schwer zugänglichen tafelartigen Oberseite eines Felsgrates dicht
am Ufer des Indus. Von ihnen abgesehen, sind auch in diesem östlichen Bereich des Felsbildkomplexes im Ver-
gleich mit Hodar nur verschwindend wenig Scheiben zu verzeichnen, die zudem von schlichter Natur sind. Auch
davon abgesehen gibt es in Gichi Nala nur wenig offensichtlich nachbuddhistische Felsbilder. Daraus könnte zu
schließen sein, daß in nachbuddhistischer Zeit die Siedlung an der Flußmündung aufgegeben worden ist und das
Tal wie heutzutage nur weiter oben bewohnt war. Wie Stein für die Bewohner von Chilas ausführt, ist die Flucht,
bzw. wie er es ausdrückt “permanent removal”, vor der Hitze und den Moskitos und winzigen stechenden Fliegen
des Industales “to what land was available for cultivation in the higher valleys ... intelligible enough”.543 Das völli-
ge Fehlen von Axtdarstellungen und individuellen Scheiben, wie sie aus Hodar und Thalpan bekannt sind, legt je-
denfalls nahe, daß sich hier keine der (von außen ins Fand kommenden?) Personen niederließen, die es für notwen-
dig erachteten, ihre Anwesenheit und Überlegenheit durch entsprechende Zeichen zu demonstrieren.
Es bleibt mithin festzuhalten, daß es sich bei den Felsbildern von Gichi Nala überwiegend um Darstellungen aus
buddhistischer Zeit handelt, die wahrscheinlich zwischen 400 und 600 n. Chr. entstanden sind. Die meisten dürf-
ten, wie die Stüpa-Darstellungen im östlichen Teil deutlich machen, von Buddhisten stammen. Die Gravuren im
westlichen Teil wurden überwiegend von Durchreisenden angebracht, von denen wenigstens einige, wie iranische
Namen vermuten lassen, Händler gewesen sind. Auch die in der einzigen hebräischen Inschrift genannten Perso-
nen dürften Händler repräsentieren, die hier auf dem Weg von oder nach Chilas vorbeikamen, woraus sich, laut
Jettmar “ein sicherer Hinweis auf die Spannweite des Femhandels” ergibt.544
Es sind mehrere Mönche inschriftlich erwähnt, und auffallend ist die Wiederholung etlicher Namen. Den Verlauf
des alten Weges markiert in regelmäßigen Abständen der Name des Valavlra, der sich hier viermal verewigte.
Zehn weitere Namen wiederholen sich jeweils zweimal, darunter solche wie Kulajaya, Präna, Chona und Drdhasä-
ra. Ingesamt sind etwa 130 verschiedene Namen zu verzeichnen - darunter einige Bekannte aus Hodar (Vuge, Sü-
lota, Jivavarma), Oshibat und Shing Nala. Auch zwei Frauennamen und ein Schauspieler (oder eine Schauspiele-
rin) sind zu verzeichnen, sowie die ungewöhnliche, dramatische Mitteilung, daß ein (vielleicht sogar zwei) Reisen-
der “für immer zugrunde gerichtet” worden war. Schließlich sind hier wie schon in Shing Nala vermutlich mehrere
Verwandte durch ähnliche Namen bezeugt.
Ob in prähistorischer Zeit im westlichen Teil eine Siedlung bestanden hat, bleibt unklar, doch bezeugen zahlreiche
prähistorische Gravuren die (längere?) Anwesenheit von Personen, bei denen es sich um Einheimische gehandelt
haben dürfte. Diese Feute dürften nomadisierende oder “transhumante Viehzüchter”54'1 und Jäger gewesen sein,546
weshalb auch keine Siedlungsreste zu finden sind.547
Die wenigen nachbuddhistischen Darstellungen, wie etwa die für andere Felsbildkomplexe typischen Scheiben
(sowie das völlige Fehlen von Äxten), lassen vielleicht den Schluß zu, daß zu buddhistischer Zeit zwar - wie die
zahlreichen sorgfältig ausgeführten Gravuren nahelegen - an der Mündung des Flusses eine Siedlung, ein kleines
Kloster oder eine Kontrollstation bestanden hatte, diese(s) aber in späteren Jahrhunderten offenbar aufgegeben
wurde. Solange bis archäologische Untersuchungen an der Nala-Mündung durchgeführt werden, bleibt die Deu-
tung der Siedlungsreste und damit auch des Felsbildkomplexes Gichi Nala lediglich eine Hypothese.

543 Stein 1928: 12.
544 Jettmar 1994: 166.
545 Jettmar 1993: 35.
546 Nach PEISSEL (1984: 105) könnten diese frühen Jäger ihre bestimmten Steinbock“herden” gehabt haben, die sie ein wenig wie
zahme Herden behandelt hätten und denen sie bei ihren Wanderungen gefolgt seien “marking the limits of their territory with
carved boulders”.
547 Hierzu JETTMAR (1994: 167f.): “Jene kleinen und primitiven Gruppen, die während der Frühzeit bei noch intaktem Wildbestand
vor der Umwandlung der kargen, aber immerhin heute noch in Resten vorhandenen Uferweiden in der ‘wüstenhaften Talstufe
durchwanderten, fanden wesentlich günstigere Bedingungen vor als ihre eiligen Nachfolger.”
 
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