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Bandini, Ditte [Hrsg.]; Hinüber, Oskar von [Hrsg.]; Dickoré, Wolf Bernhard [Hrsg.]
Die Felsbildstationen Shing Nala und Gichi Nala — Materialien zur Archäologie der Nordgebiete Pakistans, Band 4: Mainz, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.37089#0134
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möglich. Demgegenüber ist der Indus aber bei Gichi Nala am Ausgang des Gichi-Flüßchens und am östlichen
Ende des Komplexes mühelos zu erreichen, in Shing Nala hingegen weder bei der Mündung des Shing-Flüßchens
noch irgendwo im Bereich des Felsbildkomplexes. Bewohner wie Durchreisende waren hier also auf das Wasser
des Shing-Flüßchens sowie der angeblich hier vorhandenen Quellen angewiesen.
Ein weiterer auffälliger Unterschied zwischen beiden Plätzen ist schließlich, daß Shing Nala heute noch besiedelt
ist, Gichi Nala dagegen nicht, denn die wenigen Gehöfte im Nala selbst sind räumlich zu weit von den Felsbildem
entfernt, um zu ihnen in Beziehung gesetzt werden zu können. Damit wird ein weiterer Punkt angesprochen, in
dem sich vermutlich beide Stationen unterscheiden: Die Siedlung von Shing Nala liegt räumlich zwar nahe genug
an den Felsbildem, daß von einem Zusammenhang zwischen beiden auszugehen ist, aber doch nicht am selben
Platz. Es spricht auch nichts dafür, daß dies in früheren Zeiten anders gewesen ist. Es ergibt sich somit der Ein-
druck, als ob die Gravuren absichtlich nicht dort angebracht wurden, wo sich das profane Leben des Ortes abspiel-
te. Falls es sich bei einigen der baulichen Überreste in Gichi Nala dagegen um alte, d.h. zur buddhistischen Zeit am
Oberen Indus existierende Gebäude handelt - wofür die Keramikfragmente sprechen -, war diese Trennung dort
anscheinend nicht, oder wenigstens nicht in dieser Deutlichkeit wie bei Shing Nala, durchgeführt.
Auch hinsichtlich des Charakters der buddhistischen Gravuren gibt es einige Unterschiede zwischen Gichi und
Shing. Während Shing auffallend viele große Stüpa-Zeichnungen aufweist, findet sich in Gichi keine einzige von
überdurchschnittlicher Größe. In Shing Nala gibt es eine Reihe von Buddhas und Adoranten, in Gichi weder das
eine noch das andere. Desgleichen unterscheidet sich ganz grundsätzlich die Art der Ausführung der besseren Stu-
pas beider Stationen. Die wenigen unter diese Kategorie fallenden Stüpas in Gichi wirken minutiöser ausgefuhrt
als die von Shing. Auffallend ist zudem, daß in Gichi weniger als zehn Bauwerkgruppen registriert wurden, in
Shing Nala dagegen mehr als zwanzig bei einer annähernd vergleichbaren Gesamtzahl von Gravuren.
Schließlich ist zu bemerken, daß die von Einheimischen stammenden Ritzungen in Shing Nala klar von den bud-
dhistischen getrennt angebracht sind, sie sich in Gichi dagegen mit den buddhistischen vermischen. Allerdings ist
hier hinzuzufugen, daß dies zu buddhistischer Zeit nicht so gewesen sein muß, da eine genaue Datierung dieser
einheimischen Gravuren nicht möglich ist. Es ist also nicht auszuschließen, daß sie erst, nachdem die Buddhisten
Gichi verlassen hatten, hier eingepickt wurden. Diese Möglichkeit ist zwar auch bei Shing Nala gegeben, nur hät-
ten dann die späteren Bewohner des Ortes die alten nunmehr unverständlichen Ritzungen mehr respektiert als die
Personen, die ihre Zeichnungen zwischen die Stüpas von Gichi setzten.
Unter Berücksichtigung der genannten Unterschiede entsteht sowohl in Bezug aufShing Nala als auch auf den um
den Nala konzentrierten Kern von Gichi Nala folgender Gesamteindruck: Es ergeben sich weder aus den Felsbil-
dem noch aus den archäologischen Resten Hinweise darauf, daß beide ‘Plätze’ im Bereich der Felsbilder in prähi-
storischer oder frühhistorischer Zeit bewohnt waren. Die frühesten datierbaren Zeugnisse sind die Felsbilder der
buddhistischen Zeit, wobei zum einen das Fehlen von Kharosthi-Inschriften, zum anderen das von entsprechend
frühen Bauwerken deutlich macht, daß sie nicht aus der Frühzeit des Buddhismus am Oberen Indus stammen.
Vielmehr sind sie in beiden Fällen vermutlich überwiegend zwischen 400 und 600 entstanden und möglicherweise
in der Hauptsache in einem weit engeren Rahmen als dem genannten Zeitraum. In beiden Felsbildkomplexen feh-
len außerdem späte Inschriften und Stüpas, was auf ein vergleichsweise abruptes Ende der Präsenz von Buddhisten
und Schreibkundigen hinweisen könnte.
Die überdurchschnittliche Qualität vieler buddhistischer Bildwerke in Gichi wie in Shing spricht weiterhin dafür,
daß sich in beiden Orten zeitweise vielleicht ein oder mehrere buddhistische Mönche oder jedenfalls strenge Bud-
dhisten aufhielten, die diese Ritzungen in irgendeiner Weise veranlaßt haben. Am wahrscheinlichsten scheint zu
sein, daß sich an beiden Plätzen ein kleines Kloster befand, wobei hier nicht an Klöster unserer Kategorien zu den-
ken ist. Buddhistische Klöster können damals und dort von einem einzigen Mönch bewohnt gewesen sein. Für
Shing ist wegen seiner relativen Abgelegenheit auch nicht auszuschließen, daß hier ein buddhistischer Einsiedler
lebte.
Bemerkenswert ist, daß immerhin einige Personen namentlich bezeugt sind, die sich hier wie dort aufhielten, allen
voran der auch aus anderen Felsbildkomplexen des Oberen Indus bekannte Amrtendrälamkära.
 
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