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Überblickskommentar: Konzeption 61

Scheidung zwischen dem „Schönen“ und dem „Erhabenen“ auf (127, 22-33)
und votiert für eine Ästhetik des Erhabenen. Die Kategorie des Erhabenen geht
letztlich auf die Schrift des Pseudo-Longinos Über das Erhabene zurück (N.
hatte begonnen, an einer kritischen Edition des Pseudo-Longinos zu arbeiten).
Seit Quintilian wurde sie auf Aischylos bezogen. In seiner normativ wirkenden
Institutio oratoria schreibt Quintilian: „Als erster brachte Aischylos Tragödien
ans Licht, erhaben (sublimis) und von schwerem Ernst und in wuchtiger Rede
(tragoedias primus in lucem Aeschylus protulit sublimis et gravis et grandilo-
quus)“. N. zitiert selbst den lateinischen Wortlaut in den Aufzeichnungen zu
seiner Basler Aischylos-Vorlesung (KGW II 2, 27). Wagner rühmt immer wieder
emphatisch dieses „Erhabene“ an Aischylos und an Beethoven. Der „Fort-
schritt, welchen die Musik durch Beethoven gethan hat“, so Wagner in seiner
Festschrift zu Beethovens hundertstem Geburtstag 1870, reiche „über das
Gebiet des ästhetisch Schönen in die Sphäre des durchaus [d. h. in der alten
Wortbedeutung: ganz] Erhabenen“ (GSD IX, 102). Er erklärt die „Kategorie des
Erhabenen“ und die „Wirkung des Erhabenen“ sogar zum Maßstab von Musik
überhaupt (S. 78). N. wendet deshalb diese Kategorie auf Wagner selbst an,
„der mehr als irgend ein anderer im Erhabenen und im Ueber-Erhabenen allein
frei athmen kann“(Richard Wagner in Bayreuth, KSA 1, 441, 28 f.). Schon in
dem der Tragödienschrift vorangestellten Vorwort an Richard Wagner gibt N.
ein mehrfaches Echo auf Wagner, indem er seinerseits das „Erhabene“ zu
einem Leitbegriff macht (vgl. NK 23, 2-18); in der Schrift selbst kennzeichnet
er mit diesem Begriff sowohl einen geistigen Habitus wie den stilistisch-künst-
lerischen Ausdruck. Die Orientierung am Ideal des Erhabenen samt dem ihm
eng verwandten Pathetischen prägt den Stil seiner Erstlingsschrift in vielen
Partien. Dies entspricht dem Kult des „Helden“ und des „Genius“ als hoher
Ausnahme-Erscheinungen sowie der Abwehr moderner „Mittelmäßigkeit“ und
einer schon dem Euripides angekreideten Alltagssprache. Traditionell wurde
die Tragödie als spezifisch „hohe“ dichterische Gattung klassifiziert. N. wollte
seinen Gegenstand erreichen, indem er auf weiten Strecken den pathetisch-
hohen Ton wählte.
Später relativiert er die Idealisierung des „Erhabenen“. In der Morgenröthe
(Erstes Buch, Nr. 33) konstatiert er: „der Mensch [...] spinnt alle seine höheren
Empfindungen (der Ehrfurcht, der Erhabenheit, des Stolzes, der Dankbarkeit,
der Liebe) an eine eingebildete Welt an. Und noch jetzt sehen wir die
Folge: wo das Gefühl eines Menschen sich erhebt, da ist irgendwie jene ein-
gebildete Welt im Spiel“ (KSA 3, 42). Im Hinblick auf Wagner spricht er in einer
Nachlassnotiz des Jahres 1885 von „Ausschweifungen des Erhabenen“ (NL
1885, KSA 11, 37[15], 590). In der Spätschrift Der Fall Wagner endlich rechnet
er mit Wagners und seiner eigenen frühen Vorliebe für das „Erhabene“ sarkas-
tisch ab (KSA 6, 24, 3-17):
 
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