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Stellenkommentar GT 1, KSA 1, S. 25 101

lung der Musik zu den anderen schönen Künsten erkannt und bezeichnet,
indem er ihr eine von derjenigen der bildenden und dichtenden Kunst gänzlich
verschiedene Natur zuspricht. Er geht hierbei von der Verwunderung darüber
aus, dass von der Musik eine Sprache geredet werde, welche ganz unmittelbar
von Jedem zu verstehen sei, da es hierzu gar keiner Vermittelung durch Begriffe
bedürfe, wodurch sie sich zunächst eben vollständig von der Poesie unter-
scheide, deren einziges Material die Begriffe, vermöge ihrer Verwendung zur
Veranschaulichung der Idee seien“ (GSD IX, 66).
Ganz übereinstimmend unterscheidet N. die „unbildliche Kunst“ der Musik
von der mimetischen des „Bildners“, und auch er betont das „Unmittelbare“
der Wahrnehmung und wertet alles Rational-Begriffliche ab. Ein bemerkens-
werter Unterschied zu Schopenhauer und Wagner besteht allerdings darin, daß
er die Dichtung nicht den mimetischen Künsten zurechnet und sie nicht wie
Wagner in seiner wenig zutreffenden Definition von „Begriffen“ bestimmt
sieht. N. spart die Poesie von dieser Systematik aus, vielleicht in Erinnerung
an Lessings Laokoon, der sich ausdrücklich gegen Horazens Doktrin „ut pictura
poesis“ wandte und einen wesentlichen Unterschied zwischen Malerei und
Dichtung statuierte: die Dichtung gebe der Innerlichkeit und der „Einbildungs-
kraft“ ganz andere Spielräume als die Malerei. N. füllt die in der Anfangspartie
freigehaltene Stelle der Dichtung, indem er später die Lyrik zur Dichtung par
excellence erklärt und sie weitgehend der Musik gleichstellt sowie die Tragödie
aus der „Musik“ herleitet.
25,19 f. sich gegenseitig zu immer neuen kräftigeren Geburten reizend] Vgl. NK
25, 6-9, dort speziell zum Begriff „Generation“ in 25, 7.
25, 22 f. bis sie endlich, durch einen metaphysischen Wunderakt des helleni-
schen „Willens“, mit einander gepaart erscheinen] Das bezeichnenderweise in
Anführungszeichen gesetzte Wort „Wille“ spielt in einem unspezifischen Sinn
auf Schopenhauer an. Analog verwendet Wagner diesen Begriff in seiner Beet-
hoven-Schrift, indem er ihn in die Sphäre des Unbewußten rückt und zugleich,
wie N. hier, mit der Aura eines „Wunders“ umgibt. Es sei ersichtlich, schreibt
Wagner (GSD IX, 70), „daß sowohl künstlerisches Schaffen als künstlerische
Anschauung nur aus der Abwendung des Bewußtseins von den Erregungen
des Willens hervorgehen kann. / Um dieses Wunder zu erklären, erinnern wir
uns hier zunächst wieder der oben angeführten tiefsinnigen Bemerkung unse-
res Philosophen [Schopenhauer]“.
Eine Variante zu 25, 22 f. lautet: „bis sie endlich, im Blüthenmoment des
hellenischen ,Willens4, zu gemeinsamer Erzeugung des Kunstwerkes der atti-
schen Tragödie verschmolzen erscheinen“. Mit dem Ausdruck „Blüthenmo-
ment“ spielt N. auf die griechische Bezeichnung für „Höhepunkt“ an (äKpp).
 
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