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Stellenkommentar GT 1, KSA 1, S. 26 105

der hellenische Dichter an sich, was ein tiefes Epigramm Friedrich Hebbels mit
diesen Worten ausspricht:
In die wirkliche Welt sind viele mögliche andre
Eingesponnen, der Schlaf wickelt sie wieder heraus,
Sei es der dunkle der Nacht, der alle Menschen bewältigt,
Sei es der helle des Tages, der nur den Dichter befällt;
Und so treten auch sie, damit das All sich erschöpfe,
Durch den menschlichen Geist in ein verflatterndes Sein“. (KSA 14, 45 f.)
N. zitiert auch sonst gerne Hebbel. Im Kontext der Ausführungen über den
schöpferischen Traum in GT sind die zahlreichen Aussagen über Träume in
Hebbels Tagebüchern von besonderem Interesse. Am 13. Mai 1839 notierte Heb-
bel in sein Tagebuch: „Der Zustand dichterischer Begeisterung (wie tief emp-
find ichs in diesem Augenblick!) ist ein Traum-Zustand; so müssen andere
Menschen sich ihn denken. Es bereitet sich in des Dichters Seele vor, was er
selbst nicht weiß“ (Friedrich Hebbel, Werke, hg. von Gerhard Fricke, Werner
Keller und Karl Pörnbacher, Vierter Band, München 1966, S. 302). Zu den
Voraussetzungen in der romantischen Poetologie vgl. die folgende Erläuterung.
26, 21-24 Der schöne Schein der Traumwelten, in deren Erzeugung jeder
Mensch voller Künstler ist, ist die Voraussetzung aller bildenden Kunst, ja auch,
wie wir sehen werden, einer wichtigen Hälfte der Poesie.] Mit der „wichtigen
Hälfte der Poesie“ meint N. das Epos. Ausführlicher ist in dieser Hinsicht Die
dionysische Weltanschauung, eine der Vorstufen zur Tragödienschrift (KSA 1,
563, 14-564, 4): „Das Schauen, das Schöne, der Schein umgränzt das Bereich
der apollinischen Kunst: es ist die verklärte Welt des Auges, das im Traum, bei
geschlossenen Augenlidern, künstlerisch schafft. In diesen Traumzustand will
uns auch das Epos versetzen: wir sollen mit offenen Augen nichts sehen und
uns an den inneren Bildern weiden, zu deren Produktion uns der Rhapsode
durch Begriffe zu reizen sucht. Die Wirkung der bildenden Künste wird hier
auf einem Umwege erreicht: während der Bildner uns durch den behauenen
Marmor zu dem von ihm traumhaft geschauten lebendigen Gotte führt, so
daß die eigentlich als TEÄoq vorschwebende Gestalt sowohl dem Bildner als
dem Zuschauer deutlich wird und der Erstere den Letzteren durch die M i 11 el-
gestalt der Statue zum Nachschauen veranlaßt: so sieht der epische Dichter
die gleiche lebendige Gestalt und will sie auch Anderen zum Anschauen vor-
führen. Aber er stellt keine Statue mehr zwischen sich und den Menschen: er
erzählt vielmehr, wie jene Gestalt ihr Leben beweist, in Bewegung, Ton, Wort,
Handlung, er zwingt uns eine Menge Wirkungen zur Ursache zurückzuführen,
er nöthigt uns zu einer künstlerischen Komposition. Er hat sein Ziel erreicht,
 
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