Stellenkommentar GT 1, KSA 1, S. 28-29 113
zige, nämlich die Kausalität reduzierte, die er gemäß den verschiedenen Klas-
sen der Vorstellungen in vier „Gestaltungen“ des „Satzes vom Grunde“ ausdif-
ferenzierte: 1. Grund des Werdens oder Gesetz der Kausalität (entspricht den
empirischen Vorstellungen); 2. Grund des Erkennens (entspricht den abstrak-
ten Vorstellungen, den Begriffen und Urteilen); 3. Grund des Seins (entspricht
den Vorstellungen oder Anschauungen in Raum und Zeit); 4. Grund des Han-
delns (entspricht der als innere Kausalität erscheinenden Motivation).
28, 28-32 Wenn wir zu diesem Grausen die wonnevolle Verzückung hinzuneh-
men, die bei demselben Zerbrechen des principii individuationis aus dem inners-
ten Grunde des Menschen, ja der Natur emporsteigt, so thun wir einen Blick in
das Wesen des Dionysischen] Hier geht N. bewußt über Schopenhauer
hinaus - er spricht vom ,Hinzunehmen4 -, um zu seiner Konzeption des Diony-
sischen zu gelangen. Da Dionysos der Gott des Rauschs und der Ekstase („Ver-
zückung“) ist, durfte die Sprengung der Grenzen der Individualität nicht nur
mit dem Affekt des „Grausens“ verbunden werden. Außer dem Erschrecken im
Moment der Selbstaufgabe, das Schopenhauer mit dem „Grausen“ meint, sollte
auch die „wonnevolle“ Erfahrung der Selbstaufgabe zur Geltung kommen. Goe-
the gestaltete sie in seinem pantheistischen Altersgedicht Eins und Alles, das
mit den Versen beginnt: „Im Grenzenlosen sich zu finden / Wird gern der
Einzelne verschwinden, / Da löst sich aller Überdruß; / Statt heißem Wün-
schen, wildem Wollen, / Statt läst’gem Fordern, strengem Sollen, / Sich aufzu-
geben ist Genuß“.
28, 34-29, 5 Entweder durch den Einfluss des narkotischen Getränkes, von
dem alle ursprünglichen Menschen und Völker in Hymnen sprechen, oder bei
dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings
erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjective zu
völliger Selbstvergessenheit hinschwindet.] Schon aus dem ältesten - fragmenta-
risch überlieferten - Dithyrambos, dem des Archilochos von Paros (etwa 680-
630 v. Chr.), geht hervor, daß es sich um eine Dichtung zu Ehren des Weingotts
Dionysos handelt, und mit unmittelbarem Bezug auf die rauschhaft inspirie-
rende Wirkung des Weins heißt es darin:
(bq Aicovvooi' otvotKToq KotÄöv E^ötp^oti peAoq
olöot öiövpapßov oivcüi ovyKEpavvtü0Eiq cppcvaq.
Des Dionysos, des Herrn, schönes Lied anzustimmen weiß ich, den Dithyrambos, vom
Wein wie vom Blitz getroffen in meinem Geist.
Auf den Lyriker Archilochos kommt N. später in GT zu sprechen (42, 23; 43,
10-16; 45, 23-34). Oft verwenden die Griechen und Römer in ihren Dichtungen
den Namen des Dionysos (Bacchus) sogar metonymisch für den Wein.
zige, nämlich die Kausalität reduzierte, die er gemäß den verschiedenen Klas-
sen der Vorstellungen in vier „Gestaltungen“ des „Satzes vom Grunde“ ausdif-
ferenzierte: 1. Grund des Werdens oder Gesetz der Kausalität (entspricht den
empirischen Vorstellungen); 2. Grund des Erkennens (entspricht den abstrak-
ten Vorstellungen, den Begriffen und Urteilen); 3. Grund des Seins (entspricht
den Vorstellungen oder Anschauungen in Raum und Zeit); 4. Grund des Han-
delns (entspricht der als innere Kausalität erscheinenden Motivation).
28, 28-32 Wenn wir zu diesem Grausen die wonnevolle Verzückung hinzuneh-
men, die bei demselben Zerbrechen des principii individuationis aus dem inners-
ten Grunde des Menschen, ja der Natur emporsteigt, so thun wir einen Blick in
das Wesen des Dionysischen] Hier geht N. bewußt über Schopenhauer
hinaus - er spricht vom ,Hinzunehmen4 -, um zu seiner Konzeption des Diony-
sischen zu gelangen. Da Dionysos der Gott des Rauschs und der Ekstase („Ver-
zückung“) ist, durfte die Sprengung der Grenzen der Individualität nicht nur
mit dem Affekt des „Grausens“ verbunden werden. Außer dem Erschrecken im
Moment der Selbstaufgabe, das Schopenhauer mit dem „Grausen“ meint, sollte
auch die „wonnevolle“ Erfahrung der Selbstaufgabe zur Geltung kommen. Goe-
the gestaltete sie in seinem pantheistischen Altersgedicht Eins und Alles, das
mit den Versen beginnt: „Im Grenzenlosen sich zu finden / Wird gern der
Einzelne verschwinden, / Da löst sich aller Überdruß; / Statt heißem Wün-
schen, wildem Wollen, / Statt läst’gem Fordern, strengem Sollen, / Sich aufzu-
geben ist Genuß“.
28, 34-29, 5 Entweder durch den Einfluss des narkotischen Getränkes, von
dem alle ursprünglichen Menschen und Völker in Hymnen sprechen, oder bei
dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings
erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjective zu
völliger Selbstvergessenheit hinschwindet.] Schon aus dem ältesten - fragmenta-
risch überlieferten - Dithyrambos, dem des Archilochos von Paros (etwa 680-
630 v. Chr.), geht hervor, daß es sich um eine Dichtung zu Ehren des Weingotts
Dionysos handelt, und mit unmittelbarem Bezug auf die rauschhaft inspirie-
rende Wirkung des Weins heißt es darin:
(bq Aicovvooi' otvotKToq KotÄöv E^ötp^oti peAoq
olöot öiövpapßov oivcüi ovyKEpavvtü0Eiq cppcvaq.
Des Dionysos, des Herrn, schönes Lied anzustimmen weiß ich, den Dithyrambos, vom
Wein wie vom Blitz getroffen in meinem Geist.
Auf den Lyriker Archilochos kommt N. später in GT zu sprechen (42, 23; 43,
10-16; 45, 23-34). Oft verwenden die Griechen und Römer in ihren Dichtungen
den Namen des Dionysos (Bacchus) sogar metonymisch für den Wein.