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Stellenkommentar GT 2, KSA 1, S. 30-31 125

Einheit mit dem innersten Grunde der Welt in einem gleichnissartigen
Traumbilde offenbart.] Eine partielle Übersetzung von Schopenhauers
Grundschema „Wille“ und „Vorstellung“ in die Kategorien des Dionysischen
und Apollinischen, aber mit einer nicht mehr pessimistischen Auslegung des
,Willens4, den Schopenhauer als Ursprung des Leidens im Sinne einer unseli-
gen Triebspannung verstand.
31,12-15 wodurch wir in den Stand gesetzt werden, das Verhältniss des griechi-
schen Künstlers zu seinen Urbildern, oder, nach dem aristotelischen Ausdrucke,
„die Nachahmung der Natur“ tiefer zu verstehn und zu würdigen.] Die „Urbilder“
erinnern an Platons Ideen-Lehre, derzufolge sich alle irdischen Erscheinungen
von diesen „Urbildern“ herleiten und zu ihnen im Verhältnis eines vergängli-
chen und uneigentlichen Scheins zum ewigen Sein stehen. Schopenhauer
adaptierte lediglich strukturell Platons Ideenlehre für seine Ästhetik (Die Welt
als Wille und Vorstellung I, 3. Buch, § 31: Die Platonische Idee: das Objekt der
Kunst). Er spricht, wie dann auch N., von „Urbildern“, von den „ewigen Ideen“,
den „Urformen aller Dinge“ (Frauenstädt, Bd. 2, S. 202), aber nur um dann
doch die Sphäre des „Willens“ zu einer immanenten Urgegebenheit zu erklä-
ren. Während sich bei Platon die Welt der empirischen Erscheinungen aus
der transzendenten, ontologisch übergeordneten Welt der Ideen herleitet, sieht
Schopenhauer umgekehrt in der Welt der Ideen eine „Objektivation“ des onto-
logisch vorgeordneten „Willens“. Diese Objektivation findet in der „Vorstel-
lung“ des erkennenden und anschauenden Subjekts statt. N. macht nun den
im Unbewußten angesiedelten apollinischen „Traum“ zum Medium der Objek-
tivation von Schopenhauers „Willen“, den er hier aber einfach „Natur“ nennt,
um die negative Konnotation zu vermeiden, die der „Wille“ bei Schopenhauer
hat.
Nach der Evokation der auf diese Weise doppelt umgeformten Platonischen
Ideenlehre nimmt N. den Begriff der „Natur“ in die kunsttheoretische
Annahme einer „Nachahmung der Natur“ auf, die zwar historisch bis zur Ablö-
sung durch die Schöpfungsästhetik des 18. Jahrhunderts von großer Bedeutung
war, aber in dieser Form nicht exakt ein „aristotelischer Ausdruck“ ist, wie N.
behauptet. Sinngemäß allerdings trifft er das von Aristoteles in der Poetik
(Kap. 9) Gemeinte, denn Aristoteles, für dessen Theorie der Mimesis-Begriff
zentral ist, forderte nicht, daß der Künstler - bei ihm der Dichter - die beste-
hende Wirklichkeit reproduzierend nachahmt, vielmehr soll die Dichtung „phi-
losophischer als die Geschichtsschreibung“ verfahren, indem sie nicht das Fak-
tische möglichst genau darstellt, sondern sich dem Essentiellen zuwendet, das
immer und überall geschehen kann. Gegenstand der ästhetischen Nachah-
mung ist für Aristoteles nicht das Wirkliche, sondern das Wahrscheinliche. Nur
insofern ist es zutreffend, wenn N. von der „Nachahmung der Natur“ spricht.
 
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