Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
130 Die Geburt der Tragödie

berichtet in Orationes 4, 66-67, die zu N.s Lektüren gehörten (vgl. KGW II 2,
114 und 178) über das „Fest der Saker“: „Sie nehmen einen der zum Tode
verurteilten Gefangenen, setzen ihn auf den Thron des Königs, geben ihm
königliche Gewänder und lassen ihn Befehle erteilen, trinken und prassen, ja
während dieser Tage darf er sich sogar mit den Kebsweibern des Königs ver-
gnügen, und niemand hindert ihn zu tun, was er will. Dann aber wird er
ausgezogen, ausgepeitscht und aufgehängt“ (Übers. Eiliger). Indem N. im
Gegensatz zu solchen orientalischen Exzessen „den dionysischen Orgien der
Griechen die Bedeutung von Welterlösungsfesten und Verklärungstagen“
zuspricht, konstruiert er einen möglichst scharfen Gegensatz. Die griechischen
Dionysosfeste waren allerdings keine „Welterlösungsfeste“ und „Verklärungs-
tage“. Von ferne erinnern N.s Vorstellungen an die besondere Form der dionysi-
schen Mysterien - und an Bayreuth.
33, 4-8 die wundersame Mischung und Doppelheit in den Affecten der dionysi-
schen Schwärmer [...] jene Erscheinung, dass Schmerzen Lust erwecken, dass der
Jubel der Brust qualvolle Töne entreisst.] Nachdem schon frühere Werke wie
etwa Prellers Griechische Mythologie, die N. im Oktober und dann nochmals
im November 1870 aus der Universitätsbibliothek Basel entlieh, auf den
„Gegensatz des Affectes“ hingewiesen hatten, ging Paul Graf Yorck von War-
tenburg in seiner Schrift Die Katharsis des Aristoteles und der Oedipus Coloneus
des Sophokles, Berlin 1866, mit Formulierungen darauf ein, die N. z. T. wörtlich
übernahm (hierzu Barbara von Reibnitz, besonders S. 374 f.). Er entlieh diese
Schrift aus der Universitätsbibliothek Basel im Mai 1870 und im Februar 1871.
Darin heißt es: „In der Ekstase aber sind die Affekte, welche sie hervorgerufen
haben, aufgehoben. Die Schmerzen erwecken Lust, der Schrecken Freude, die
Lust hat etwas krampfhaft Schmerzliches. Die Ekstase ist die höhere Einheit
des Schmerzes und der Lust“ (S. 22).
33, 12 f. als ob sie über ihre Zerstückelung in Individuen zu seufzen habe.]
Anspielung auf den Mythos von Dionysos Zagreus, der von den Titanen zerris-
sen wurde (vgl. hierzu N.s Vorlesungsaufzeichnungen, KGW II 3, 414 und KGW
II 4, 222), wie vor allem die orphisch-neuplatonische Tradition spekulativ aus-
führt. Sie allegorisiert den kosmischen Ganzheitsbezug des Dionysos und seine
Zerstückelung sowie die restituierende und individualisierende Kraft des Apol-
lon. In der GT-Vorstufe Die dionysische Weltanschauung heißt es: „Der Mythus
sagt, daß Apollo den zerrissenen Dionysos wieder zusammengefügt habe. Dies
ist das Bild des durch Apollo neugeschaffenen, aus seiner asiatischen Zerrei-
ßung geretteten Dionysos“ (KSA 1, 559,19-22). Die antiken Quellen in: Orphico-
rum Fragmenta, collegit Otto Kern, 1922, 3. Aufl. Zürich 1972, Nr. 210, 211; Plut-
arch: Über das E in Delphi, Kap. 9.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften