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Stellenkommentar GT 4, KSA 1, S. 39-40 149

In § 10 seiner Vorlesung Die vorplatonischen Philosophen stellt N. den
Zusammenhang von Dike („Recht“ als oberstes Weltgesetz) und Polemos
(„Krieg“, „Streit“ als prinzipielles Daseinsgesetz) folgendermaßen dar: „Dies
ist eine der großartigsten Vorstellungen: der Streit als das fortwährende Wirken
einer einheitlichen gesetzmäßigen, vernünftigen Aikt], eine Vorstellung, die aus
dem tiefsten Fundament des griechischen Wesens geschöpft ist. Es ist die gute
Eris [„Streit“] Hesiods, zum Weltprincip gemacht. Die Griechen unterscheidet
der Wettkampf, vor allem aber die immanente Gesetzmäßigkeit im Entscheiden
des Wettkampfes. Jedes Einzelne kämpft als ob es allein berechtigt sei: aber
ein unendlich sicheres Maß des richterl. Urtheils entscheidet, wohin der Sieg
sich lenkt. Aus den Gymnasien, aus den musikal. Agonen, aus dem Staatsleben
hatte H(eraklit) das Typische dieses nöAepoq kennen gelernt. Der Gedanke von
nöAepoq - AIkt] ist der erste spezifisch hellenische Gedanke in der Philoso-
phie, [...]: nur ein Grieche war im Stande, einen so erhabenen Gedanken der
Cosmodicee zu finden“ (KGW II 4, 272).
39, 22 wie ein ambrosischer Duft] Ambrosia (wörtlich: „Unsterblichkeit“) und
Nektar sind Speise und Trank der olympischen Götter. Sie bewirken und erhal-
ten deren Unsterblichkeit.
39, 28 durch Intuition] Zu diesem Schlüsselbegriff vgl. 25, 4.
39, 33-40, 2 wie die ganze Welt der Qual nöthig ist, damit durch sie der Ein-
zelne zur Erzeugung der erlösenden Vision gedrängt werde und dann, ins
Anschauen derselben versunken, ruhig auf seinem schwankenden Kahne, inmit-
ten des Meeres, sitze.] Rückbezug auf die in 28, 11-17 als explizites Schopen-
hauer-Zitat kenntlich gemachten Vorstellungen.
40, 6 das Maass im hellenischen Sinne] N. setzt das Apollinische als Inbegriff
des „Maßes“ in ein dialektisches Verhältnis zum „Uebermaass“ (40, 34; 41,
10). Dieses ist für ihn Inbegriff des Dionysischen, das er als die tiefere „Natur“
(41, 1) versteht und „aus dem Herzen der Natur heraus“ als Enthüllung der
Wahrheit denkt (41, 12). Vom „Maass“ im allgemeineren „hellenischen Sinne“
spricht er im Hinblick auf den zentralen Wert, der in den ethischen Vorstellun-
gen der Griechen dem „Maß“ und der „Mitte“ zukommt. Positiv wird es näher
bestimmt als Wissen um die Grenzen, negativ als Warnung vor der Überschrei-
tung von Grenzen im „Übermaß“. Schon die Tragödien führen das spezifisch
tragische Geschehen immer wieder auf Maßlosigkeit oder Übermaß zurück, sei
es durch Überschreiten der Grenzen im Verhältnis der Menschen zu den Göt-
tern, sei es durch Überschreiten von Grenzen im Verhältnis der Menschen zu-
einander. Der Geschichtsschreiber Thukydides macht für Athens Katastrophe
im Peloponnesischen Krieg den Verlust des Maßes durch fortschreitende Ent-
 
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