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196 Die Geburt der Tragödie

Vorbereitung, welchen Ernst und Enthusiasmus im Erfassen der künstlerischen
Aufgabe müssen wir hier voraussetzen, kurz, welch ein ideales Schauspieler-
thum! Hier waren Aufgaben für die edelsten Bürger gestellt, hier entwürdigte
sich, auch im Falle des Mißlingens ein Marathonkämpfer nicht, hier empfand
der Schauspieler, wie er in seinem Kostüm eine Erhebung über die alltägliche
Menschenbildung darstellte, auch in sich einen Aufschwung, in dem die pathe-
tischen schwerwuchtigen Worte des Aeschylus ihm eine natürliche Sprache
sein mußten“ (KSA 1, 519, 26-520, 23) Der Ausdruck der Masken war, den
archaischen Plastiken vergleichbar, bei Aischylos auf ein leises Lächeln redu-
ziert, später wurde er lebendiger, und schließlich verlieh man den Masken
pathetische Züge.
63, 31 Admet] In der Alkestis des Euripides trauert König Admet um seine
verstorbene Frau Alkestis, die für ihn aus Liebe in den Tod gegangen ist, um
ihm das Leben zu retten. Vgl. Alkestis, V. 1123-1125.
64,18 f. „ein ewiges Meer, ein wechselnd Weben, ein glühend Leben“] Zitat aus
der Erdgeist-Szene in Goethes Faust I, V. 505-507.

9. Kapitel
In diesem und im nächsten Kapitel überträgt N. die bisher aus der Konstella-
tion des Dionysischen und des Apollinischen entwickelte Tragödien-Theorie
auf die Tragödien-Sto/fe: auf die Mythen, d. h. die Fabeln, die dem Geschehen
zugrunde liegen. Um diese Übertragung, die für ihn den tragischen Mythos
schlechthin betrifft, einleuchtend zu machen, allegorisiert er die als Exempel
herangezogenen Einzel-Mythen: den Ödipus-Mythos, den Sophokles in seinem
König Ödipus gestaltete, und den Prometheus-Mythos, den Aischylos in seinem
Drama Der gefesselte Prometheus ausformte. Die Allegorisierungs-Strategie ist
von den gleichen Interessen gelenkt wie schon die bisherige Darstellung: Sie
soll einer mythologischen Bestätigung von Philosophemen Schopenhauers die-
nen. Daraus resultiert N.s enthistorisierter Mythos-Begriff, der in der romanti-
schen Tradition Creuzers und Schellings steht. Daher auch die antilogische
Funktion dieses Mythos-Begriffs, den er schon bisher zur konsequenten Abwer-
tung des Dialogs zugunsten des Chors, d. h. eines irrationalistisch aufgefaßten
,Geistes der Musik4 benutzte. In einer Partie des Vortrags Socrates und die Tra-
goedie, die nicht in GT einging, heißt es ganz in diesem Sinn: „Der Sokratismus
ist älter als Sokrates; sein die Kunst auflösender Einfluß macht sich schon
viel früher bemerklich. Das ihm eigenthümliche Element der Dialektik hat sich
bereits lange Zeit vor Sokrates in das Musikdrama eingeschlichen und verhee-
 
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