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208 Die Geburt der Tragödie

Gelehrtenlos beklagen (V. 398-409) und meint den von N. zitierten Vers bitter-
selbstironisch:
Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
[...]
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
Urväter-Hausrat drein gestopft -
Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!

10. Kapitel
Wie schon das vorhergehende Kapitel, so übernimmt auch dieses, weitgehend
in wörtlicher Entsprechung, eine Partie aus der (nachgelassenen) Schrift Sokra-
tes und die griechische Tragoedie (KSA 1, 619, 2-620, 24). Nachdem das 9. Kapi-
tel sich dem „Mythos“ und exemplifizierend dem Ödipus- sowie dem Prome-
theus-Mythos zugewandt und dabei die „Weisheit“ wie überhaupt die „Cultur“
im Hinblick auf die ursprüngliche „Natur“ als zerstörerisch dargestellt hatte,
gilt nun das 10. Kapitel dem „absterbenden Mythus“ (74, 19). Es leitet damit
zu dem mit diesem Absterben verbundenen Verfall der Tragödie über (Kap. 11-
15), den N. aus dem Überhandnehmen des „Wissens“ herleitet. Sokrates und
im Hinblick auf die Tragödie speziell Euripides repräsentieren für N. den aus
dem Logozentrismus resultierenden Verfall des Mythos und der Tragödie. Mit
ihrem Logozentrismus zerstören sie aus seiner Sicht auch die von Mythos und
Tragödie zum Ausdruck gebrachte tragische Weltanschauung zugunsten eines
flachen Optimismus.
71,16-19 Es ist eine unanfechtbare Ueberlieferung, dass die griechische Tragö-
die in ihrer ältesten Gestalt nur die Leiden des Dionysus zum Gegenstand hatte
und dass der längere Zeit hindurch einzig vorhandene Bühnenheld eben Dionysus
war.] Mit dieser angeblich unanfechtbaren, tatsächlich aber problematischen
Überlieferung bezieht sich N. auf Herodot V 67, vgl. NK 63, 6-11. Dafür, daß
Dionysos der über längere Zeit hindurch einzig vorhandene Bühnenheld gewe-
sen sei, gibt es keinerlei Anhaltspunkt. Präjudiziert ist die Betonung der Leiden
des Dionysos als des ursprünglich einzigen Bühnenhelden durch die schon in
den früheren Kapiteln vorgenommene Gleichsetzung des Dionysos mit Scho-
penhauers vom Leiden bestimmten Daseinsgrund. Immer wieder betont N. im
Folgenden das „Leiden“, im Gegensatz zu Aristoteles, der in seiner Poetik den
 
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