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Stellenkommentar GT 13, KSA 1, S. 88 273

88, 22-28 zum Schrecken der Neueren, welche zwar Euripides gerne preisge-
ben, aber sich nicht genug darüber wundern können, dass Sokrates als der erste
und oberste Sophist, als der Spiegel und Inbegriff aller sophistischen Bestre-
bungen bei Aristophanes erscheine: wobei es einzig einen Trost gewährt, den
Aristophanes selbst als einen lüderlich lügenhaften Alcibiades der Poesie an den
Pranger zu stellen.] Daß die „Neueren“ gerne den Euripides preisgeben, trifft
nur sehr eingeschränkt zu, etwa auf A. W. Schlegel, einen der Hauptgewährs-
männer N.s, nicht aber auf so bedeutende Autoren wie Wieland, Lessing und
Goethe, die im Gegenteil den Euripides hoch schätzten. Daß es den „Neuern“
schwerfiel, Sokrates durch Aristophanes in die Sphäre der Sophisten versetzt
zu sehen, ist vor allem auf das von Platon vermittelte Sokrates-Bild zurückzu-
führen: in einer Reihe von Dialogen läßt er ihn als Widerpart bekannter Sophis-
ten auftreten. Schon bei den Zeitgenossen waren die Sophisten umstritten, je
nachdem ob sie als Protagonisten einer immer weiter fortschreitenden Aufklä-
rung anerkannt oder abgelehnt wurden. Sokrates’ Nähe zur Sophistik zeigt
sich in der für die Sophisten typischen Hinterfragung, ja Subversion all dessen,
was bisher aus Konvention als gültig angesehen und unreflektiert geglaubt
wurde, sodann in seiner dialektischen Disputierkunst und Eristik, in der Ent-
larvung falscher Wissensansprüche und in der Destruktion von Scheinwissen.
In Platons Dialogen, mit ihrer nur schwer abzuschätzenden Mischung von
authentisch Sokratischem und Platonischem, unterscheidet sich Sokrates von
den Sophisten, besonders von denen der radikalen Art, indem er an einer
ethischen Lebensgestaltung festhält und sich weiterhin zur Polis bekennt,
schließlich indem er sich nicht, wie manche Sophisten, in rhetorischer Artistik
oder sogar Ruhmredigkeit genügt, obwohl auch er sich auf Rhetorik versteht.
Nachdem schon Hegel in seiner Geschichte der Philosophie ein tieferes Ver-
ständnis der Sophistik und ihrer geschichtlichen Stellung vorbereitet hatte,
kamen um die Mitte des 19. Jahrhunderts zwei der bedeutendsten Altertumsfor-
scher, deren Werke N. kannte und sogar in seiner persönlichen Bibliothek
hatte, zu einer geschichtlich adäquaten Einschätzung: der Engländer George
Grote und Eduard Zeller. N. besaß die deutsche Übersetzung des Monumental-
werks von George Grote: Geschichte Griechenlands. Nach der zweiten Auflage
aus dem Englischen übertragen von N. N. W. Meißner. 6 Bde, Leipzig 1850-
1856, ferner besaß er Eduard Zellers Werk: Die Philosophie der Griechen in ihrer
geschichtlichen Entwicklung. Erster Theil. Allgemeine Einleitung. Vorsokratische
Philosophie. Dritte Auflage, Leipzig 1869 (darin der Abschnitt über die Sophis-
ten S. 851-953). In den Aufzeichnungen zu seiner Vorlesung über Die vorplato-
nischen Philosophen, die er erstmals im Wintersemester 1869-1870 und dann
noch mehrere Male hielt, beruft sich N. auf Grote: „Über die Sophisten hat
Grote im 67. Capitel aufgeklärt (4. Bd. M.(eißneü). Nach den gewöhnlichen
 
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