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Stellenkommentar GT 18, KSA 1, S. 117 337

vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht als dem, das es zugleich
selbst giebt“ (S. 434). Schon im römischen Humanitätsdenken, wie es Cicero
formulierte, gehört die Würde, die „dignitas“, zur „humanitas“, wenn auch
eher in einem aristokratischen Sinn.
Die „Würde der Arbeit“ war im 19. Jahrhundert zu einem vielbeschworenen
Wertbegriff geworden, der aus einer Umwertung der Arbeit resultierte. In der
griechischen Antike galt Arbeit (so auch bei Platon und Aristoteles) als eine
untergeordnete Tätigkeit gegenüber der bürgerlich-politischen ,Praxis4 und
dem in ihr zur Geltung kommenden Herrschaftswissen sowie gegenüber der
,Bildung4 (nouÖEia); insofern kam der Arbeit keine spezifische „Würde“ zu. Ver-
achtet wurden vor allem die Handarbeiter und alle handwerklichen Berufe.
Später unterschied Cicero zwischen den Künsten, die eines Freien würdig
waren, den artes liberales, und der nur zur Befriedigung von primären Lebens-
bedürfnissen dienenden Arbeit (De offlciis 1, 42, 150). Bis ins 18. Jahrhundert
hinein war der Begriff der Arbeit noch oft mit der Vorstellung gesellschaftlicher
Niedrigkeit und Dienstbarkeit im Horizont ständischer Schichtenfixierung ver-
bunden, mit dem Heraufkommen des Bürgertums und des modernen ökonomi-
schen Denkens aber gewann die Arbeit eine zunehmend positive Bedeutung.
„Arbeit ist des Bürgers Zierde, / Segen seiner Mühe Preis“, formulierte Schiller
in seinem Gedicht Die Glocke. In der bürgerlichen Leistungsgesellschaft werte-
ten Eigentumsstreben und Wertschöpfung durch Arbeit auch diese selbst auf.
Die Declaration des droits de l’homme et du citoyen von 1793 bestimmte
(Art. 18), daß es kein bindendes Dienstverhältnis (domesticite), sondern nur
freie Arbeitsverhältnisse geben solle.
Im Liberalismus des 19. Jahrhunderts verband sich der Begriff der Arbeit
mit den optimistisch besetzten Begriffen von Fortschritt und Freiheit. Damit
gewann die Arbeit auch ihre zivilisatorische „Würde“. Friedrich List schrieb in
seinem Artikel Arbeit im Staatslexikon von Rotteck/Welcker, daß die Mensch-
heit auf dem Wege zu den „Fortschritten der Zivilisation der Segnungen der
freien und freiwilligen Arbeit teilhaftig“ werden könne. Solcher Arbeit schreibt
er „Würde“ zu: „schon führt hier die geistige Arbeit zu Ehren und Würden,
die körperliche zu Achtung und Ansehen“. Angesichts des Arbeiter-Elends im
frühkapitalistischen Wirtschaftssystem konstatierte er aber auch die „Entwür-
digung der arbeitenden Klassen“; vom ökonomischen Fortschritt und einer ver-
antwortungsbewußten Politik erhoffte er dennoch, daß die Lebenshaltung ver-
bessert und die Daseinswürde aller arbeitenden Menschen erreicht werde.
Marx dagegen legte den Hauptakzent gerade auf die zunehmende Entwürdi-
gung: auf die Instrumentalisierung der arbeitenden Bevölkerung zugunsten
des Kapitals und auf ihre aus den modernen industriellen Arbeitsprozessen
resultierende Entfremdung. In seinem Hauptwerk zitiert Marx die skeptische
 
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