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350 Die Geburt der Tragödie

(Inferno) und das läuternde Fegefeuer (Purgatorio), in dem die Büßer auf die
künftige Erlösung hoffen, bis an die Schwelle des Paradieses (Paradiso) führt,
wo Beatrice, Dantes Jugendgeliebte, ihn erwartet, um ihn durch die neun Him-
melssphären bis vor Gottes Thron zu geleiten.
125, 3 „Wiederbringung aller Dinge“] N. setzt diese Formel, die aus der religiö-
sen Überlieferung stammt, im uneigentlichen Sinne ein, um die ,Renaissance4
zu charakterisieren: die ,Wiedergeburt4 der Antike im Italien der frühen Neu-
zeit. Die Lehre von der „Wiederbringung aller Dinge44, der „Apokatästasis pän-
ton“, stand im Gegensatz zur orthodoxen christlichen Lehre, die zwischen dem
Reich der unwiederbringlich Verdammten, der Hölle, und dem Himmel als dem
Reich der Erlösten unterscheidet. Dagegen stellte Origenes, der griechische Kir-
chenvater des 3. Jahrhunderts, die von der Kirche bald als häretisch verurteilte
Lehre von der „Wiederbringung aller“ auf, derzufolge am Ende der Zeit - am
Jüngsten Tag - eine versöhnende Rückführung aller Wesen zu Gott stattfindet.
Für diese Wiederbringungslehre glaubte man sich von jeher auf einige Stellen
im Neuen Testament berufen zu können (Epheserbrief 1, 10; 1. Korintherbrief
15, 28). Im 18. Jahrhundert nahm dann der Pietismus die Wiederbringungslehre
intensiv auf. N., der aus einem protestantischen Pfarrhaus stammte, dürfte mit
der Formel aus dem pietistischen Milieu vertraut gewesen sein.
Ebenfalls in einem uneigentlichen, wenn auch ganz anderen Sinn als N.
hier, hatte Leibniz in nachgelassenen Fragmenten (die N. noch nicht kennen
konnte) die Apokatastasis-Lehre verwendet: in dem Fragment De l’Horizon de
la doctrine humaine und in dem Entwurf Apokatastasis. Darin gelangt Leibniz
zu einer zyklischen Geschichtsauffassung, die bemerkenswerte Parallelen zu
N.s späterer Wiederkunftslehre aufweist.
125, 14 f. Es liegt also auf den Zügen der Oper keinesfalls jener elegische
Schmerz eines ewigen Verlustes] Dies und das Folgende ist nach Kategorien und
Wertungen aus Schillers Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung
formiert. Darin wendet sich Schiller, besonders in dem Kapitel Idylle, gegen
das, was N. als die „bequeme Lust an einer idyllischen Wirklichkeit“ (125, 16 f.)
bezeichnet, um einem solchen Genügen am Realen eine Sphäre höchster Erfül-
lung entgegenzusetzen und eine entsprechende Idealvorstellung auch der
Idylle zu entwerfen. Daß N. einseitig und verkürzend die frühe Oper auf die
Schäferidylle festlegt, erklärt sich aus der - an sich schon problematischen -
Übertragung von Schillers Ausführungen zur Schäfer-Idylle auf die Entste-
hungsgeschichte der Oper. Schiller gibt ihnen in seinem Kapitel Idylle breiten
Raum. Allerdings teilt N. nicht Schillers geschichtsphilosophisch unterlegte
idealistische und optimistische Perspektive, die auf die Korrelation von „Arka-
dien“ und „Elysium“ zielt. N. kennt kein „Elysium“ mehr, sondern nur den von
 
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