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360 Die Geburt der Tragödie

tenheit ist, von den Griechen. Und wann brauchten wir diese allerhöchsten Lehr-
meister mehr als jetzt] Die Vorstellung, dass vor allem von den Griechen zu
„lernen“ sei, weil sie unsere „allerhöchsten Lehrmeister“ seien, entwickelte
sich von der Gründungsschrift des Frühklassizismus, von Winckelmanns 1755
erschienenem Traktat Über die Nachahmung der griechischen Werke in der
Malerei und Bildhauerkunst, bis zu Goethes vielfältigen Studien über die
griechische Poesie, zu Friedrich Schlegels Aufsatz Über das Studium der Grie-
chischen Poesie (1795-97) und schließlich bis zu Wilhelm von Humboldts
Schriften (darunter Über das Studium des Altertums, 1793) und zu seinen epo-
chemachenden Bildungsreformen, zu denen auch die Einführung des huma-
nistischen Gymnasiums gehörte. Den von N. benutzten und zunächst aus dem
Begriff der ,Renaissance4 übertragenen Begriff der ,Wiedergeburt4 wandte
schon Friedrich Schlegel speziell auf die damals stattfindende ,Wiedergeburt4
der deutschen Poesie aus der Aneignung der griechischen Poesie an, um damit
die enge Verbindung gerade der deutschen mit der griechischen literarischen
Kultur zu statuieren. In dem Kapitel Von der Wiedergeburt der neuern Poesie
schreibt er: „Eine ganz neue, und ungleich höhere Stufe des Griechischen Stu-
diums ist durch Deutsche herbeigeführt, und wird vielleicht noch geraume Zeit
ihr ausschließliches Eigentum bleiben“ (Kritische Friedrich Schlegel-Ausgabe,
hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans
Eichner. Erster Band: Studien des klassischen Altertums, eingeleitet und heraus-
gegeben von Ernst Behler, Paderborn usw. 1979, S. 364). Wilhelm von Hum-
boldt betonte in seiner Abhandlung Über das Studium des Altertums, „der
grösseste Nuzen eines solchen Studiums“ der Griechen bestehe „nicht gerade
in dem Anschauen eines solchen Charakters, als der Griechische war, sondern
in dem eignen Aufsuchen desselben. Denn durch dieses wird der Aufsuchende
selbst auf eine ähnliche Weise gestimmt; Griechischer Geist geht in ihn über;
und bringt durch die Art, wie er sich mit seinem eignen vermischt, schöne
Gestalten hervor. Es bleibt daher nichts, als eignes Studium übrig, in unaufhörli-
cher Rüksicht auf diesen Zwek unternommen“ (Wilhelm von Humboldt: Werke
in fünf Bänden, hg. von Andreas Flitner und Klaus Giel, Bd. II: Schriften zur
Altertumskunde und Ästhetik, Darmstadt 1961, S. 21).
20. Kapitel
Schon in seiner Basler Antrittsvorlesung Homer und die klassische Philologie
(1869) hatte sich N. zu den Problemen der klassischen Philologie im 19. Jahr-
hundert geäußert. Er sah die Gefahr, daß sie durch den modernen „Fortschritt
der Technik und Industrie“ ihre Aktualität einbüßen und zunehmend ins
 
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