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406 Die Geburt der Tragödie

Hyperion, in dem er immer wieder diese Denkfigur Heraklits aufnimmt, mit
folgenden Sätzen enden: „Wie der Zwist der Liebenden, sind die Dissonanzen
[!] der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich
wieder. / Es scheiden und kehren im Herzen die Adern und einiges, ewiges,
glühendes Leben ist Alles“. Allerdings unterscheidet sich diese Versöhnungs-
vorstellung, die Hölderlin seinem Protagonisten in den Mund legt, von N.s
„Rechtfertigung der Welt als eines aesthetischen Phänomens“ (152, 29 f.).
153,11-17 ein dionysisches Phänomen [...], das uns immer von Neuem wieder
das spielende Aufbauen und Zertrümmern der Individualwelt als den Ausfluss
einer Urlust offenbart, in einer ähnlichen Weise, wie wenn von Heraklit dem
Dunklen die weltbildende Kraft einem Kinde verglichen wird, das spielend Steine
hin und her setzt und Sandhaufen aufbaut und wieder einwirft.] Heraklit, auf
den sich N. schon früher in GT beruft (78, 23-25; 128, 2-5) und den er in seiner
ungefähr gleichzeitigen Abhandlung Die Philosophie im tragischen Zeitalter der
Griechen den anderen Vorsokratikern vorzieht, galt schon in der Antike als
„der Dunkle“ (ö OKOTEivöq). Daß der Beiname „der Dunkle“ zur festen Charak-
teristik Heraklits gehörte, geht aus dem byzantinischen (von N. herangezoge-
nen) Suda-Lexikon hervor; es rubriziert Heraklit als „Naturphilosophen, wel-
cher ,Der Dunkle4 genannt wurde“. Das Fragment (DK 22 B 52), auf das sich N.
hier bezieht, lautet: „Der Aion [die Welt in ihrer ewigen Dauer] ist ein Kind,
das spielt, hin und her die Brettsteine setzt: eines Kindes Königreich“ (aicbv
naiq ectti nai^cov, ttectctevcov* naiööq p ßacnApip). N. folgt einer Abhandlung
von Jacob Bernays, der das spielende Kind als „weltbildende Kraft“ auslegte
und damit die stoische Ausdeutung in Plutarchs Schrift Über das E in Delphi
(393e-f) übernahm. Plutarch assoziiert noch Homers Ilias, 15. Gesang, V. 360-
364: „und Apollon [...] hinstürzt’ er der Danaer Mauer / Leicht, wie etwa den
Sand ein Knab am Ufer des Meeres, / Der, nachdem er ein Spiel aufbaut’ in
kindischer Freude, / Wieder mit Hand und Fuße die Häuflein spielend ver-
schüttet“ (Übersetzung von Johann Heinrich Voß). Auf diese Homer-Stelle geht
die in dem Heraklit-Fragment nicht vorhandene, aber von N. aufgegriffene Vor-
stellung von dem Kind zurück, das „Sandhaufen aufbaut und wieder einwirft“.
Die Abhandlung von Jacob Bernays erschien in dessen Heraklitischen Studien
(1850). Vgl. dort insbesondere S. 110-112. N. paraphrasiert und nennt Bernays
in den Aufzeichnungen zu seiner Vorlesung Die Vorplatonischen Philosophen:
„Von der ganzen Welt sagt Lucian (in der Versteigerung der Philosophen 14),
eines u. dasselbe ist Lust Unlust Wissen und Unwissen Großes Kleines aufwärts
abwärts wandelnd und sich vertauschend in der Weltzeit Spiel ev Tp toü
aicovoq naiöip. Ein Kauflustiger [d. h. einer, der sich für den „Kauf“ von Hera-
klit in Lucians Versteigerung der Philosophen interessiert] fragt t( ydp ö aicov
ectti; Herakl. antwortet naiq nai^cov ttectctevcov öiacpspöpsvoq, CTvpcpspöpsvoq
 
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