140 Zur Genealogie der Moral
niedrigung hervorrief." Renan 1864, 93 f.) Dieses enorme Bedürfnis nach Rache
in einer bestimmten historischen Konstellation wird in GM I 7 zum Charakteris-
tikum des Judentums und schließlich aller „Priester" verallgemeinert.
267, 17-22 Die Juden sind es gewesen, die gegen die aristokratische Werthglei-
chung (gut = vornehm = mächtig = schön = glücklich = gottgeliebt) mit einer
furchteinflössenden Folgerichtigkeit die Umkehrung gewagt und mit den Zähnen
des abgründlichsten Hasses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten haben] Die-
se angebliche Umkehrung der aristokratische Wertungsweisen steht gegen das
aristokratische anmutende Selbstverständnis Israels, das auserwählte Volk
Gottes zu sein (vgl. z. B. 2. Mose 19, 3-6).
267, 22-29 „die Elenden sind allein die Guten, die Armen, Ohnmächtigen, Nied-
rigen sind allein die Guten, die Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Hässlichen
sind auch die einzig Frommen, die einzig Gottseligen, für sie allein giebt es Selig-
keit, — dagegen ihr, ihr Vornehmen und Gewaltigen, ihr seid in alle Ewigkeit die
Bösen, die Grausamen, die Lüsternen, die Unersättlichen, die Gottlosen, ihr wer-
det auch ewig die Unseligen, Verfluchten und Verdammten sein!"...] Es handelt
sich bei dieser ,den‘ Juden in den Mund gelegten Anklage um kein direktes
Zitat, sondern um die wirkungsvolle Zusammenfassung in bibelschwangerem
Ton („Mächtige", „Gewaltige" und Reiche, gegen die die Gläubigen aufbegeh-
ren sollen - siehe Epheser 6, 12 u. Lukas 6, 24 f.) einer Tendenz, die Renan im
sogenannten Ebionismus, der Armutsbewegung des vorchristlichen Spätjuden-
tums dingfest machte und im Urchristentum nahtlos fortgesetzt fand. Eine ent-
sprechende Passage hat N. exzerpiert und mehrfach aufgegriffen (Renan 1867,
187-189), die in NK KSA 5, 116, 29-117, 9 wiedergegeben ist. Unmittelbar davor
heißt es: „Le mouvement democratique le plus exalte dont l'humanite ait garde
le souvenir (le seul aussi qui ait reussi, car seul il s'est tenu dans le domaine
de l'idee pure) agitait depuis longtemps la race juive. La pensee que Dieu est
le vengeur du pauvre et du faible contre le riche et le puissant se retrouve ä
chaque page des ecrits de l'Ancien Testament. L'histoire d'lsrael est de toutes
les histoires celle oü l'esprit populaire a le plus constamment domine." (Renan
1867, 187. „Die exaltirteste demokratische Bewegung, von der die Menschheit
weiß (die einzige auch, welche bisher gelungen ist, denn sie hat sich auf dem
Gebiete des reinen Gedankens gehalten) schüttelte schon seit lange die jüdi-
sche Rasse. Der Gedanke, daß Gott der Rächer des Armen und Schwachen ge-
gen den Reichen und Mächtigen ist, findet sich auf jeder Seite des Alten Testa-
ments. Die Geschichte Israels ist von allen Geschichten diejenige, bei welcher
der Volksgeist am beständigsten vorherrschend war." Renan 1864, 202.) Genau
diese Verallgemeinerung, dass nämlich ,das‘ Judentum immer von einem sol-
chen demokratisch-egalitären Affekt gegen die Mächtigen beseelt gewesen sei,
niedrigung hervorrief." Renan 1864, 93 f.) Dieses enorme Bedürfnis nach Rache
in einer bestimmten historischen Konstellation wird in GM I 7 zum Charakteris-
tikum des Judentums und schließlich aller „Priester" verallgemeinert.
267, 17-22 Die Juden sind es gewesen, die gegen die aristokratische Werthglei-
chung (gut = vornehm = mächtig = schön = glücklich = gottgeliebt) mit einer
furchteinflössenden Folgerichtigkeit die Umkehrung gewagt und mit den Zähnen
des abgründlichsten Hasses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten haben] Die-
se angebliche Umkehrung der aristokratische Wertungsweisen steht gegen das
aristokratische anmutende Selbstverständnis Israels, das auserwählte Volk
Gottes zu sein (vgl. z. B. 2. Mose 19, 3-6).
267, 22-29 „die Elenden sind allein die Guten, die Armen, Ohnmächtigen, Nied-
rigen sind allein die Guten, die Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Hässlichen
sind auch die einzig Frommen, die einzig Gottseligen, für sie allein giebt es Selig-
keit, — dagegen ihr, ihr Vornehmen und Gewaltigen, ihr seid in alle Ewigkeit die
Bösen, die Grausamen, die Lüsternen, die Unersättlichen, die Gottlosen, ihr wer-
det auch ewig die Unseligen, Verfluchten und Verdammten sein!"...] Es handelt
sich bei dieser ,den‘ Juden in den Mund gelegten Anklage um kein direktes
Zitat, sondern um die wirkungsvolle Zusammenfassung in bibelschwangerem
Ton („Mächtige", „Gewaltige" und Reiche, gegen die die Gläubigen aufbegeh-
ren sollen - siehe Epheser 6, 12 u. Lukas 6, 24 f.) einer Tendenz, die Renan im
sogenannten Ebionismus, der Armutsbewegung des vorchristlichen Spätjuden-
tums dingfest machte und im Urchristentum nahtlos fortgesetzt fand. Eine ent-
sprechende Passage hat N. exzerpiert und mehrfach aufgegriffen (Renan 1867,
187-189), die in NK KSA 5, 116, 29-117, 9 wiedergegeben ist. Unmittelbar davor
heißt es: „Le mouvement democratique le plus exalte dont l'humanite ait garde
le souvenir (le seul aussi qui ait reussi, car seul il s'est tenu dans le domaine
de l'idee pure) agitait depuis longtemps la race juive. La pensee que Dieu est
le vengeur du pauvre et du faible contre le riche et le puissant se retrouve ä
chaque page des ecrits de l'Ancien Testament. L'histoire d'lsrael est de toutes
les histoires celle oü l'esprit populaire a le plus constamment domine." (Renan
1867, 187. „Die exaltirteste demokratische Bewegung, von der die Menschheit
weiß (die einzige auch, welche bisher gelungen ist, denn sie hat sich auf dem
Gebiete des reinen Gedankens gehalten) schüttelte schon seit lange die jüdi-
sche Rasse. Der Gedanke, daß Gott der Rächer des Armen und Schwachen ge-
gen den Reichen und Mächtigen ist, findet sich auf jeder Seite des Alten Testa-
ments. Die Geschichte Israels ist von allen Geschichten diejenige, bei welcher
der Volksgeist am beständigsten vorherrschend war." Renan 1864, 202.) Genau
diese Verallgemeinerung, dass nämlich ,das‘ Judentum immer von einem sol-
chen demokratisch-egalitären Affekt gegen die Mächtigen beseelt gewesen sei,