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Marx, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 10. Abhandlung): Die Entwicklung der Reflexlehre seit Albrecht von Haller bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: vorgelegt in der Sitzung am 16. November 1938 — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.43756#0027
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Entwicklung der Reflexlehre

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das in der Verarbeitung der Eindrücke von außen zu Tage trat
und seinerseits Wirkung ausübte, bot wahrscheinlich den Aus-
gangspunkt für die Vorstellung des gesamten nervösen Geschehens.
Die Vorstellung des äußeren Reizes, der durch den Nerven hin-
durchläuft und zum inneren Reiz wird und dann nicht nur Wir-
kung, sondern auch neue Ursache ist, ließ im Vergleich mit dem
seelischen Vorgang trotz der niemals von Prochaska unterteilten
Nervenkraft das Bild des unterbrochenen nervösen Vorgangs ent-
stehen. Es dürfte unmöglich sein, die Entstehung seiner Spekula-
tionen im Neben- und Miteinander zu zerlegen. Wir wollen nur
feststellen, daß das Sensorium commune von Prochaska aus den
Kenntnissen von den Sinneswerkzeugen und ihren Funktionen,
von den Nerven und ihrem Verlauf, von der Nervenkraft und
der Seelentätigkeit mit einer starken Intuition geschaffen wurde.
Der alte Begriff „Sensorium commune“, durch „allgemeines
Sensorium“ von Prochaska übersetzt, wird im 19. Jahrhundert
in der Nervenphysiologie weiter eine Rolle spielen; ebenso wird
die „Reflexion“ im Rückenmarksreflex wieder aufleben; man muß
betonen, daß Prochaska den Ausdruck Reflexion nie gebraucht,
wohl aber sagt, daß im Sensorium commune die äußeren Ein-
drücke in die inneren „reflektiert“ werden, mit oder ohne Be-
wußtsein. Seine beiden inhaltvollen Begriffe werden in der folgen-
den Zeit, die mit der exakten Methode die Nervenphysiologie neu
begann, formelhaft wiederkehren.
Es wird lohnend sein, sich noch einmal den Menschen nach
den von Erasmus Darwin und Prochaska entwickelten Anschau-
ungen vorzustellen, ich möchte sagen: seine Form auszudrücken.
Bei Erasmus Darwin war es ein Individuum in reinster Aus-
prägung gewesen, das sich zeigte; das Sensorium war unteilbar
bzw. blieb bei einer Teilung in jedem Stück quasi vollkommen
und damit ideell ungeteilt. Die Sinnesorgane und die Muskeln
waren fibröse Gebilde, und das Individuum stand durch diese
beiden im Prinzip gleich gebauten Gewebe mit der Außenwelt in
Berührung. Beide waren in gleicher Weise von dem Sensorium
belebt, das jeden Körperbezirk erfüllte und eine — zwar nur
wenig betonte — Stellung in der Mitte innehatte. Das Sensorium
vereinigte besonders sinnfällig die beiden Teile, nämlich Sinnes-
organe und Muskeln, die, gleich gebaut an gleiche Stelle gesetzt,
zu verwandtem Tun bestimmt waren. Der Vorgang in der Außen-
welt, der auf das Lebewesen einen Einfluß ausübte, stand zu dem
 
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