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Marx, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 10. Abhandlung): Die Entwicklung der Reflexlehre seit Albrecht von Haller bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: vorgelegt in der Sitzung am 16. November 1938 — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.43756#0046
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46

Ernst Marx:

ven bei der Irritabilität des Muskels verkannt. Das ist ein Wider-
spruch zu den gerade vorher zitierten Sätzen; eine Lösung kann
ich nur darin sehen, daß die nach Cuvier fälschliche Meinung
von der Irritabilität als einer Eigenschaft der Muskelfaser „an sich
selbst“ so aufgefaßt wurde, daß man glaubte, man habe in der
Muskelkraft eine besondere, beinahe Lebensprinzip zu nennende
Kraft finden können, was sie eben nicht ist. Diese Interpretation
scheint mir für Cuvier zu passen, der gegen den Animismus
kämpfte. Eine andere Deutung ist die, daß man Haller, der die
Mitwirkung des Nerven an der Muskelirritabilität oft genug be-
tont hat, dahin verstehen muß, daß in praxi — und besonders in
der einen Praxis: in vivo — die Muskelirritabilität nie ohne Reiz-
empfang vom Nerven vor sich ginge. Eine solche Meinung steht
z. B. bei Rudolph Wagner in seinem „Lehrbuch der Physiologie“
(1842), wo es heißt, daß auch am losgelösten und von Nerven-
enden scheinbar gesäuberten Muskel eben doch der Reiz auf
den Muskel durch zurückgelassene Nervenenden geschähe und
daß bei völliger Säuberung einzelner Fasern keine Zusammen-
ziehung mehr stattfände. Was Wagner eine Verwerfung der
HALLER’schen Meinung nennt! — Das Zitat aus Cuvier und be-
sonders der letzte wörtlich zitierte Satz (siehe S. 45), daß Zu-
sammenziehung ohne- Empfindung und Willen vor sich gehen
könne, enthalten die erste klare Verwerfung der Spontaneität der
Muskelaktion. Es heißt zwar nicht ausdrücklich so, aber dieses
Zitat schließt das in sich ein.
Wir müssen nun d’Irsay zu Worte kommen lassen aus seinem
kleinen Buch: „Albrecht von Haller. Eine Studie zur Geistesge-
schichte der Aufklärung“ (1930). Er hat das Glück, dem Streit um
diese Philologensache zeitlich ferner zu stehen, hat außerdem das
Glück, sich von hoher Warte aus mit den Dingen zu beschäftigen,
und die hohe Warte ist die Beschäftigung fast nur mit dem Begriff
„Irritabilität“ als einer philosophischen Idee. Sie war das Um-
fassende für alles, was im Organischen, Nervösen und Seelischen
vor sich ging. Bis zu Haller, sagt er, habe die Irritabilität -
Reizbarkeit das Lebensprinzip ausdrücken können, besonders auch
im STAHL’schen Animismus. Haller habe dann, fährt d’Irsay fort,
Empfindung den Nerven zugeteilt „als den Quellen der Empfind-
lichkeit“, sagen wir deutlicher: weil die Nerven Empfindlichkeit
besitzen; dem Muskel habe Haller die Reizbarkeit gegeben, das
ist also eine Reizbarkeit sensu strictiori und ist die Kontraktilität;
 
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