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0. Lehmann :
zum Wesen eines Kristalls; ohne dieselbe ist ein Kristall nicht
denkbar.
Daß ich gerade bei Jodsilber znerst zu diesen Bedenken
gelangt war, ist Zufall und hängt teils damit zusammen, daß
man schon früher die fragliche Modifikation des Jodsilbers als
zähflüssig bezeichnet hatte, teils mit der um jene Zeit aus-
geführten Bearbeitung der Kapitel Elastizität und Plastizität in
meinem Buche Molekularphysik und der Beobachtung schein-
baren Fließens der Jodsilberkristalle unter Einfluß eines elek-
trischen Stromes.s) Im Grunde könnte man dieselbe Frage bei
jedem der erwähnten weichplastischen Kristalle, insbesondere
hei dem regulären Ammoniumnitrat aufwerfen; denn die Existenz
einer Elastizitätsgrenze läßt sich auch hier nicht beweisen. Wenn
aber diese Gebilde keine Kristalle sind, wie soll man sie denn
sonst benennen, zumal, da sie zweifellos durch stetige Über-
gänge mit festen Kristallen verbunden sind und besonders be-
züglich des Wachstums ganz dasselbe Verhalten zeigen wie diese?
Die Bedenken gaben, was freilich nicht ausdrücklich an-
gegeben wird, zu einer Änderung der Definition des kristalli-
sierten Zustandes Anlaß. So ersetzte GROTiD) später die oben
zitierte Definition durch die folgende : ,,Homogene Körper, deren
Eigenschaften von der Richtung abhängen . . . besitzen die Fähig-
keit . . . eine eigene regelmäßige Form anzunehmen, welche mit
der Verschiedenwertigkeit der Richtungen innerhalb derselben
in gesetzmäßigem Zusammenhang steht, und werden daher kri-
stallisierte oder kristallinische i°) Körper genannt". Ähnlich de-
finiert noch in neuester Zeit E. RiECKE^)- „Der Physiker be-
trachtet . . . die Kristalle als homogene anisotrope Körper".
Das Attribut „fest" wurde also aus der Kristalldefinition ge-
strichen, was ermöglicht, die Jodsilberkristalle als flüssige Kri-
stalle zu bezeichnen, denn sie sind homogen (ebenso wie die
Kampferkristalle) und anisotrop (wenn auch nicht optisch, denn
sie wachsen nicht als Kugeln, sondern als Kristallskelette),
8) Näheres in 0. LEHMANN, D?'e dter AWsfaPe, 1911,
S. 161, wo auch die Literatur angegeben ist.
8) P. ClROTH, P7;.y^u7. 7L'7s7aPo^7'., 4. Aufl., 1905, S. 3.
i°) Sonst versteht man unter kristallinischen Körpern seit alter Zeit
Aggregate von Kristallen. In diesem Sinne ptlege ich z. B. von kri-
stallinischen Flüssigkeiten (üüe<L ^7, 515, 1890) zu sprechen,
ii) E. RiECKE, L<?7^&. (7. P/ayaPr, 5. Autl., 7, 574, 1912.
0. Lehmann :
zum Wesen eines Kristalls; ohne dieselbe ist ein Kristall nicht
denkbar.
Daß ich gerade bei Jodsilber znerst zu diesen Bedenken
gelangt war, ist Zufall und hängt teils damit zusammen, daß
man schon früher die fragliche Modifikation des Jodsilbers als
zähflüssig bezeichnet hatte, teils mit der um jene Zeit aus-
geführten Bearbeitung der Kapitel Elastizität und Plastizität in
meinem Buche Molekularphysik und der Beobachtung schein-
baren Fließens der Jodsilberkristalle unter Einfluß eines elek-
trischen Stromes.s) Im Grunde könnte man dieselbe Frage bei
jedem der erwähnten weichplastischen Kristalle, insbesondere
hei dem regulären Ammoniumnitrat aufwerfen; denn die Existenz
einer Elastizitätsgrenze läßt sich auch hier nicht beweisen. Wenn
aber diese Gebilde keine Kristalle sind, wie soll man sie denn
sonst benennen, zumal, da sie zweifellos durch stetige Über-
gänge mit festen Kristallen verbunden sind und besonders be-
züglich des Wachstums ganz dasselbe Verhalten zeigen wie diese?
Die Bedenken gaben, was freilich nicht ausdrücklich an-
gegeben wird, zu einer Änderung der Definition des kristalli-
sierten Zustandes Anlaß. So ersetzte GROTiD) später die oben
zitierte Definition durch die folgende : ,,Homogene Körper, deren
Eigenschaften von der Richtung abhängen . . . besitzen die Fähig-
keit . . . eine eigene regelmäßige Form anzunehmen, welche mit
der Verschiedenwertigkeit der Richtungen innerhalb derselben
in gesetzmäßigem Zusammenhang steht, und werden daher kri-
stallisierte oder kristallinische i°) Körper genannt". Ähnlich de-
finiert noch in neuester Zeit E. RiECKE^)- „Der Physiker be-
trachtet . . . die Kristalle als homogene anisotrope Körper".
Das Attribut „fest" wurde also aus der Kristalldefinition ge-
strichen, was ermöglicht, die Jodsilberkristalle als flüssige Kri-
stalle zu bezeichnen, denn sie sind homogen (ebenso wie die
Kampferkristalle) und anisotrop (wenn auch nicht optisch, denn
sie wachsen nicht als Kugeln, sondern als Kristallskelette),
8) Näheres in 0. LEHMANN, D?'e dter AWsfaPe, 1911,
S. 161, wo auch die Literatur angegeben ist.
8) P. ClROTH, P7;.y^u7. 7L'7s7aPo^7'., 4. Aufl., 1905, S. 3.
i°) Sonst versteht man unter kristallinischen Körpern seit alter Zeit
Aggregate von Kristallen. In diesem Sinne ptlege ich z. B. von kri-
stallinischen Flüssigkeiten (üüe<L ^7, 515, 1890) zu sprechen,
ii) E. RiECKE, L<?7^&. (7. P/ayaPr, 5. Autl., 7, 574, 1912.